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Wut ist eine menschliche Disziplin

Wut ist eine menschliche Disziplin

So sehr wir unsere Tiere auch lieben. Manchmal treiben sie uns in den Wahnsinn. Und meisten reagieren wir total falsch auf ihr Fehlverhalten bzw. das, was wir Menschen als Fehlverhalten verstehen.

Wer hat das noch nicht erlebt? Die Katze ignoriert jedes Rufen und Locken. Auf samtenen Pfoten entwischt sie in die Dunkelheit. Der Hund haut ab, reagiert weder auf Pfiffe noch auf Zuruf, wird immer kleiner und verschwindet am Horizont. Das Pferd widersetzt sich, geht partout nicht dahin, wo es soll, verweigert die Zusammenarbeit. Zuerst ist man überrascht, dann versucht man die Kontrolle zurückzubekommen. Schließlich macht sich Sorge breit – etwa, wenn der Hund Richtung Straße läuft – und schlussendlich kocht die Wut hoch.

Diese Wut ist jedoch eine zutiefst menschliche Kategorie ist. Tiere ticken anders. Sie sind vielleicht aggressiv, wenn sie ihre Herde, ihren Nachwuchs oder ihre Beute verteidigen. Das lässt sich jedoch nicht mit jener Wut gleichsetzen, die man von rasend zornigen Menschen kennt. Bei Auseinandersetzungen empfiehlt es sich sowieso, erst einmal tief durchzuatmen, runterzukommen und sich – wenn möglich – aus der Situation zu nehmen. Beim Pferd ganz besonders, denn Wut ist schlichtweg ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Etwa, weil wir uns dem Tier unterlegen fühlen oder sogar Angst vor ihm haben.

Meist sind es Instinkte, wenn Tiere die Zusammenarbeit mit dem Menschen verweigern. Manchmal auch körperliche Beschwerden. Ganz oft ist es aber die Sicherheit, die der Reiter seinem Pferd nicht vermitteln kann. Besonders junge Pferde brauchen Reiter, die Ruhe ausstrahlen, Sicherheit geben und denen sie dadurch vertrauen können. Doch ein Reiter, der Angst vor seinem Pferd, seiner Unberechenbarkeit, seiner Kraft und seinen Reaktionen hat, strahlt diese Angst auch aus.  So kann es passieren, dass das Pferd den Dienst quittiert und ohne erkennbaren Anlass plötzlich verweigert. Das geschieht meistens nicht von heute auf morgen. Vielmehr kann man sich oft eine Weile durchmogeln, aber irgendwann eskaliert die Situation. Pferde schaffen es immer wieder, uns aus der Fassung zu bringen und unsere besten Vorsätze zu torpedieren. Der Grund ist, weil sie uns so nahe sind, uns lesen können wie kaum ein anderes Tier.

Den Dialog suchen: Pferde, aber auch Katzen und Hunde reagieren auf unsere Gefühle innerhalb ihrer eigenen, sehr artbezogenen Gefühlspalette. In der Natur sind Pferde Beute während Katze und Hund Beutegreifer sind. Das macht einen Riesenunterschied. Ihr Verhalten wurde durch Evolution und Auslese lange vor unserem ersten Zusammentreffen angelegt. Dass Tiere Emotionen haben, ist unbestritten und von der Wissenschaft hinlänglich bewiesen. Sie äußern sich als Wohlgefühl, Freude, Angst oder Unsicherheit. Uns nahe Tiere spiegeln nachweislich unsere Gefühle wider. Emotionen bei Tieren könnten sogar ein genetisch verankertes Merkmal sein, das einen Überlebensvorteil bot. Ein Tier, das bedrohliche Zustände mit Angst assoziiert, hat sein Fluchtverhalten verinnerlicht. Es sichert das Überleben in der Wildnis und ist selbst in domestizierten Tieren immer noch tief verwurzelt. Immerhin hat dieses Verhalten Millionen von Jahren gut funktioniert. Wir Menschen sind dazu angehalten, einen positiven Dialog zu suchen. Denn dieser ist die Grundlage dafür, dass ein Pferd überhaupt von uns lernen kann.

Zurück zur Wut: Für unsere Pferde ist menschliche Wut jedenfalls nicht gut einzuordnen, sie verstehen sie nicht. Dementsprechend verschieden reagieren sie – abhängig von ihrem Wesen, ihrem Charakter und ihrer Position in der Gruppe. Wir wissen definitiv, dass negative Gefühle des Menschen vom Tier intensiv wahrgenommen werden. Siehe Studienlinks* dazu.

Wenn die Beziehung zum eigenen Pferd gerade etwas holprig ist, hilft ein sachlicher Umgang mit der Situation. Vielleicht gibt man es in Beritt, longiert es mal ein paar Tage oder findet andere Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Ein gemeinsamer Ausritt oder lockeres Springtraining (wer sich traut) können für fröhliche Stimmung sorgen.

Wut ist immer ein Zeichen von Hilflosigkeit und hat in der Pferdeausbildung keinen Platz.


*Die Studie „Horses Categorize Human Emotions Cross-Modally Based on Facial Expression and Non-Verbal Vocalizations“ der Wissenschafter Miléna Trösch, Florent Cuzol, Céline Parias, Ludovic Calandreau, Raymond Nowak und Léa Lansade ist hier nachzulesen.

Eine weitere, etwas ältere Studie der Freien Universität Berlin “Tierische Emotionen – Von glücklichen Kühen, falsch verstandener Tierliebe und fürsorglichen Hyänen” ist hier nachzulesen.


Text & Fotos: © Andrea Kerssenbrock

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