Schubkraft und Tragkraft – der Weg in die Versammlung kann selbst bei gehfreudigen Pferden mitunter mühsam sein.
Die Stute auf dem Bild unten läuft gerne und schwungvoll. Selbst im Hochsommer konnte ihr keine noch so hohe Temperatur die Lust an der Bewegung nehmen. Sie läuft außerdem im Takt und in sicherer Anlehnung. Für den Anfang – also bei einem jungen Pferd, nach einer Pause oder zwischendurch – passt das auch. Takt und Schwung zuerst, so haben wir das gelernt. Doch irgendwann nach dem Laufen kommt nun mal das Setzen. Und manchmal leider auch das Widersetzen.
Beim Pferd (und nicht nur beim Pferd) funktionieren leise Kommandos besser als gebrüllte und feine Hilfen besser als grobe. Dank klarer Einwirkung und durchdachtem Trainingsaufbau begeben sich Reiter und Pferd also auf den Weg hin zur Versammlung. Denn mit dem Laufen hört die Ausbildung ja nicht auf. Und wenn die Schubkraft noch so spürbar ist, irgendwann braucht es auch Tragkraft. Was für den Ausbilder ganz logisch klingt, ist für so manches Pferd naja, nennen wir es “gewöhnungsbedürftig”. Es gibt Pferde, denen ist das Talent zur Versammlung und damit die Tragkraft in die Wiege gelegt. Es gibt aber auch Pferde, die sich schwerer damit tun, Last aufzunehmen. Hier hilft fundierte Basisarbeit, ein gut gymnastiziertes Pferd ist immer im Vorteil.
Treten dennoch Probleme auf, liegen selbst gute Ausbilder wach und denken über Ursachen und Lösungen nach. Kann der Grund für Widerstand körperlich, gesundheitlich oder haltungsbedingt begründet sein? Passt der Sattel, das Gebiss? Sind die Zähne gesund? Kann ich als Reiter ausschließen, dass mein Pferd Schmerzen oder Unwohlsein empfindet? Bisweilen ist es der Schritt zurück den der Ausbilder setzen muss – bevor das Pferd ihn macht. Denn diesen Schritt zurück erleben wir immer wieder. Pferde, die rückwärts laufen, gegen den Schenkel schlagen, jegliches Vorwärts verweigern sind gar nicht so selten. In Verbindung mit der Ohnmacht des Reiters – oft ist es auch Angst – kann dieses Verhalten wirklich gefährlich werden.
Das Pferd hat unterschiedliche Methoden den Schenkel komplett zu ignorieren bzw. schon den Gedanken ans Vorwärts zu torpedieren. Es hält die Luft an, blockiert mit Kopf und Körper, rennt rückwärts. Je mehr der Reiter mit seinem Schenkel zudrückt, umso kratzbürstiger wird das Pferd. Es gibt Pferde, die schlagen dann gegen den Schenkel, steigen oder bocken rum. Der Schritt aus der Komfortzone ist mitunter nicht im Sinne eines jeden Pferdes. Das Pferd verdient jedenfalls Sicherheit in der Ausbildung.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten wieder ins Vorwärts zu kommen:
- Vorne loslassen und hinten drauf hauen – zugegeben, sprachlich und reittechnisch nicht die erste Wahl.
- Bisschen Mogeln, indem man das Pferd in leichter Außenstellung nach vorne reitet – manche Pferde lassen sich so austricksen.
- Ehrlich mit der treibenden Hilfe durchkommen – das wäre die bevorzugte Lösung.
Ohne Vorwärts kein Rückwärts
Das Vorwärts ist essenziell für das Rückwärts, das in diesem Zusammenhang ein Aufnehmen, ein sich Setzen ist und kein Rückwärtsrichten. Das Pferd soll – on Top in der Skala der Ausbildung – hinten Last aufnehmen, dabei die Nachhand senken und die Hinterbeine entsprechend unter den Schwerpunkt bewegen. Dazu braucht es einen aufgewölbten Rücken, Kraft und Durchlässigkeit. Erreicht wird dies durch die Gymnastizierung des Pferdes in praktisch jeder Lebenslage.
Auch wenn die Stute sehr schick und mit viel Schwung läuft, so soll aus ihr kein Distanzpferd werden, sondern ein Dressurpferd. Wir arbeiten somit an der Schubkraft und entwickeln daraus die Tragkraft. Ein paar Übungen fallen mir dazu schon ein: Geraderichten, viele Übergänge reiten und dabei auf die Korrektheit achten, am zweiten Hufschlag reiten ohne zu torkeln. Halbe Paraden und ganze Paraden reiten – und zwar so, dass sie durch den ganzen Körper gehen. Eine ehrliche Innenstellung verlangen und durch Überstreichen überprüfen. Schritt-Trab-Übergänge in Schultervorstellung bis hin zu Schulterherein. Eine Haltparade im Schulterherein ist eine grandiose Übung, um das Pferd schön auf das innere Hinterbein zu setzen. Daraus ohne Schwanken anzutraben ist schon ziemlich meisterhaft und dient gleichzeitig der perfekten Überprüfung der Durchlässigkeit.
Die Stute hat wie jedes Pferd gute und besonders gute Tage. Den meisten Spaß hat sie logischerweise an besonders guten Tagen – auf dem Reitplatz, in der Halle und im freien Gelände. Abwechslung ist willkommen, vorzugsweise mit freundlichem Reiten.
Mein Reitimpuls für diese Woche
Wo zuviel Druck ist, entsteht Gegendruck. Gerade wenn es für das Pferd “ernst” wird und die versammelnde Arbeit beginnt, sollte der Reiter auf eine feine Hilfengebung achten. Ich arbeite meine Pferde so sanft es geht und lobe ganz besonders, wenn es Eigeninitiative im positiven Sinn entwickelt. Etwa, wenn es in der Haltparade ein Bein selbst korrigiert, um geschlossen zu stehen. Oder wenn es meinem Gedanken zum Antraben folgt. Ebenfalls ganz wichtig für die versammelnden Arbeit: auch Vorwärtsreiten ist eine Belohnung. Wenn ein Pferd sich gar nicht setzen mag, ist das Zugeben auf der Geraden mit einer anschließenden Tour (Volte) vor der Ecke eine super Übung, weil das Pferd sich dann setzen muss, wenn es die Balance behalten will. Ad on: der Reiter kommt mit wenig Zügelhilfe aus. MERKE: Das Training immer mit ruhigem Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen beenden.
Mein persönlicher Zusatz-Impuls: Ride and Smile 🙂
Text & Fotos: Andrea Kerssenbrock, 5.11.2021