Der Sattel ist das verbindende Element zwischen Reiter und Pferd. Tipps und Gedanken zu einem ewig aktuellen Thema.
Es muss wohl irgendwann zwischen 1871 und 1888 gewesen sein, als der deutsche Kronprinz und spätere Kaiser Friedrich III. nach England reiste. Von dort brachte er stolz seine Neuerwerbung, einen original englischen Sattel, heim nach Potsdam. Diesen legte er dem Hofsattlermeister Voigt vor. Genau so wünsche er sich künftig seine Sättel, lautete der allerhöchste Auftrag an den Sattler. Der aber hatte schon so eine Ahnung davon, was sich unter dem Leder verbergen mochte. Er fragte den Kronprinzen, ob er denn den Sattel genau untersuchen dürfe, öffnete vorsichtig eine Naht und zeigte lächelnd auf das Schildchen am Sattelbaum. „Voigt, Hofsattlermeister, Potsdam“ stand da drauf.
Diese Anekdote findet sich in Carl Gustav Wrangels Standardwerk „Buch vom Pferde” (Stuttgart, 1927). Wir lernen daraus: Auch Sättel unterliegen Trends und Moden – und oft ist das vermeintlich Neue gar nicht so neu und anders.
Entwicklungen & Trends
Weit vor Christi Geburt schon setzen die Menschen Reitunterlagen und Gurte zu deren Befestigung ein. Die Kelten galoppieren bereits auf flachen Bocksätteln. Und die Entwicklung des ersten Sattelbaums fällt ziemlich exakt mit dem Beginn unserer Zeitrechnung zusammen: Das iranische Nomadenvolk der Sarmaten führte ihn ein, um im Kampf besseren Halt und damit mehr Sicherheit zu erreichen.
So lange es den Sattel bereits gibt, so lange ist er auch Ausdruck modischer Vorlieben und Trends. Er war reich verziertes Statussymbol ebenso wie zweckmäßiges Gebrauchsutensil. Vor allem aber: Er setzt den Reiter ins rechte Lot. Der Sattel muss die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd zulassen und soll durch eine Optimierung der auf das Pferd einwirkenden Kräfte Verschleißerscheinungen minimieren.
Wesentliche Ausstattung des Sattels sind dessen Pauschen und der Gurt. Die Pauschen geben dem Reiterbein Halt und Sicherheit. Sie sollen vor dem Bein liegen und kein klemmendes Knie oder eine Überstreckung des Beins verursachen. Eine korrekte Sitzformung ist allein mit den Pauschen nicht möglich.
Der Sattelgurt liegt in der tierindividuellen Gurtlage über dem breitesten Bereich des Rippenbogens. Senkrechter Zug gewährleistet, dass der Sattel nicht nach vorne oder hinten verrutscht. Eine mäßig feste Gurtung vermeidet unnötigen Druck. Ein rutschender Sattel kann durch noch so feste Vergurtung nicht fixiert werden. Bei Kurzgurten muss darauf geachtet werden, dass die Verschnallung oberhalb des Ellenbogens liegt und dieser nicht in der Bewegung an die Schnallen stößt, da dies dem Pferd erhebliche Schmerzen bereitet.
Passform & Beweglichkeit
Jedes Pferd hat einen anderen Körperbau. Und jeder Reiter unterscheidet sich vom anderen. Der Sattel muss Pferd und Reiter passen und sollte daher stets vom Experten angepasst werden. Dazu gehört die Exterieurbeurteilung wie auch die Überprüfung von Futter- und Trainingszustand. Gegebenenfalls wird das Pferd vermessen.
Die Beurteilung, ob ein Sattel passt, erfolgt in vier Schritten: im Stehen ohne Gurt, im Stehen mit Gurt, mit dem Reiter ohne Gurt und mit dem Reiter in der Bewegung. Das Gefühl des Reiters ist ebenso wichtig wie der Blick des Fachmanns von unten.
Messungen ergaben, dass für das Pferd die Verteilung der Druckspitzen maßgeblich vom Sitz des Reiters abhängig ist. Zudem soll sich der Sattel bewegen können und nicht wie ein Korsett am Rücken haften. Die Kammerweite muss immer passen, da sich die Druckspitzen sonst in den vorderen Bereich verlagern – was umso massiver auf den Pferderücken wirkt, als auch das Gewicht des Reiters zu zwei Dritteln auf der vorderen Hälfte des Sattels liegt.
Es ist also ganz im Sinne des Pferdes, wenn der Reiter gut in seinen Sattel passt. Denn je besser der Reiter sitzt, je besser er mit der Bewegung des Pferdes mitschwingen kann, desto komfortabler und losgelassener ist die Situation für das Pferd. Der gute Reiter kann den Druck eines geringfügig unpassenden Sattels kompensieren. Ein nicht ausbalancierter Reiter kann aber trotz eines passenden Sattels dem Pferderücken schaden.
Soweit, so gut – passt der Sattel nun Pferd und Reiter, steht schon die nächste Erkenntnis an: Der Sattel ist immer nur so gut wie sein Reiter. Das mag auch mit ein Grund dafür sein, dass es unter Profireitern durchaus üblich ist, ein und denselben Sattel auf verschiedene Pferde zu schnallen. Ideal wäre dennoch ein eigener Sattel für jedes Pferd.
„Die Bewegung, das Training des Pferdes sind ausschlaggebend. Das korrekt trainierte Pferd und der ausbalancierte Reiter sind wichtig, dann kann ein passender Sattel nicht drücken“, so Karl Niedersüß. Oft, zu oft schieben ReiterInnen, TrainerInnen, ja sogar TierärztInnen Bewegungsstörungen des Pferdes auf den vermeintlich unpassenden Sattel, den idealen Sündenbock. „Er passt nicht, weil er sich nicht wehren kann“, so Sattler Niedersüß.
Tipps
Einfacher Sattelcheck:
- Den Sattel ohne Unterlage in korrekter Position auf den Pferderücken legen und normal gurten normal:
- Der Sattel soll ausbalanciert und gleichmäßig auf dem Pferd aufliegen.
- Der tiefste Punkt des Sattels soll über dem des Pferderückens sein.
- Die Wirbelsäule braucht genügend Freiheit.
- Nach dem Reiten darf sich das Fell unter dem Sattel nicht gegen den Strich verstrubbelt haben.
- Schwitzt das Pferd, muss die Sattellage gleichmäßig feucht sein, der Wirbelkanal soll trocken bleiben.
- Faustregel I: Zwischen Widerrist und Sattelkammer sollen mindestens zwei bis drei Finger passen, wenn der Reiter im Sattel sitzt.
- Faustregel II: Der Sattel darf nirgends auf der Wirbelsäule aufliegen, man soll vom Widerrist nach hinten „durchschauen“ können.
- Faustregel III: Um den tiefsten Punkt des Sattels zu überprüfen, legt man eine Gerte quer auf den Sattel und schaut, ob diese in die Mitte des Sattels rollt.
- Faustregel IV: Der Steigbügel soll senkrecht unter dem korrekten Schwerpunkt hängen.
Mögliche Anzeichen, wenn der Sattel nicht passt:
- Unlust beim Satteln – Wegdrehen, Schnappen, Angst
- Schmerz- und Druckempfindlichkeit im Bereich des Widerrists bzw. in der Sattellage
- Arbeitet unwillig
- Läuft dem Reiter „unter dem Hintern davon“.
- Verspannt sich im Rücken, drückt den Rücken weg
- Zähneknirschen
- Schlägt mit dem Kopf
- Schlägt mit dem Schweif oder hält ihn schief
- Klamme Gänge, Taktstörungen
- Lahmheit
- Veränderungen in der Muskulatur, insbesondere der Rückenmuskulatur
- Widersätzlichkeit (buckeln, durchgehen)
Karl Niedersüß, Rohrbach
Seit über 300 Jahren arbeitet der Sattlerbetrieb im Dienste des Pferdes. Das Team punktet mit Erfahrung, handwerklichem Können und einer gelebten Offenheit für Innovationen. Prototypen werden von Profis getestet. Sattelausstatter der Spanischen Hofreitschule, Niedersüß verkauft seine Produkte zu 95 % ins Ausland, besonders Deutschland, Niederlande, Australien, Neuseeland und Japan. www.kn.sattlerei.at
Foto & Text: Andrea Kerssenbrock
Erstveröffentlichung in Pferderevue 10/2012