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Im Galopp durch die Geländeprüfung

Im Galopp durch die Geländeprüfung

Wie reite ich im richtigen Tempo durch die Geländeprüfung? Darüber habe ich mit Multichampion und Reitmeister Michael Jung, Vielseitigkeitstrainer Manfred Rust und den erfolgreichen Vielseitigkeitsreiter, -ausbilder, -richter und -referenten Ferdinand Croy gesprochen.

  1. Tempo trainieren

Wer eine Vielseitigkeits- oder Geländeprüfung reiten möchte, muss sich auch mit dem Tempo an sich vertraut machen. 400 oder 500 Meter pro Minute sind anfangs wohl mehr eine abstrakte Zahl als ein Reitgefühl. Das freie Galoppieren in deutlich höherem Grundtempo als man es vom Reitplatz kennt, bietet sich zunächst auf einer großen Wiese an. „Am besten misst man sich die Strecke aus. Für kleinere Prüfungen sind es 400 Meter“, so die drei Profis unisono. Dazu setzt man Pflöcke als Markierung oder wählt einen Baum bzw. die Grenze zum Nachbarfeld als Marker. Wer eine Rennbahn auf der Anlage hat, kann hier die Minutenpunkte festlegen und so hervorragend trainieren. Soweit die erste Phase, in der die Reiterin lernt, nach der Uhr zu reiten. Im nächsten Schritt übt man das Temporeiten im Gelände ohne Hindernisse. Da darf es schon bergauf und bergab gehen. Wald, Wiese und unterschiedliche Böden fordern Pferd und Reiter ganz anders als der ebene Platz oder eine überschaubare Wiese.

  1. Im Fluss über Hindernisse

Hat der Reiter bereits ein gutes Tempogefühl, so lässt sich dieses im nächsten Schritt über Hindernisse trainieren, die zunächst sehr einladend sind. Dazu haben sich Baumstämme oder mobile Sprünge wie Schweinerücken, Bürsten oder Gatter bewährt, die man beliebig platzieren kann und die idealerweise in verschiedenen Größen zur Verfügung stehen. Manfred Rust lässt seine Schüler und Schülerinnen gerne aus dem leichten Sitz heraus über kleine Sprünge galoppieren. Wichtig ist dabei, dass der Fluss der Vorwärtsbewegung erhalten bleibt. „Das flüssige Überwinden der Hindernisse aus dem richtigen Tempo gelingt nur, wenn der Reiter aktiv über den Sprung reitet – und nicht nur bis zum Sprung“, beschreibt Ausbilder Croy einen Fehler, der gerade am Anfang oft passiert, wenn man nämlich das Pferd im letzten Moment doch noch alleine lässt. „Das kann in kleinen Prüfungen gut gehen, wo sich das Pferd mit einem Krabbler retten kann“, warnt er.

  1. Den Sitz perfektionieren

So wie Ausbilder angehalten sind, Tempo und Sprünge zu trainieren, gilt es auch den korrekten leichten Sitz zu schulen. Schönes Reiten gelingt dann, wenn man das Pferd nicht stört und gelernt hat, gut in der Bewegung mitzugehen. Wer schon über längere Strecken im leichten Sitz galoppiert ist, weiß wie anstrengend das sein kann. Die Körperhaltung des Reiters beansprucht andere Muskelgruppen als herkömmliches Dressur- oder Springreiten. Dazu kommt der kurze Bügel. Wo im Parcours der Entlastungssitz reicht, muss sich beim Galoppieren über längere Strecken der Pferderücken deutlich freier bewegen können. Die Anforderungen an Kondition und Gleichgewicht der Reiter sind jedenfalls nicht zu unterschätzen. Profitipp von Ferdinand Croy: „Der ausbalancierte Sitz des Reiters macht es dem Pferd leichter sich über dem Sprung wohlzufühlen. Darum ist hier der Reiter gefordert, gezielt am Sitz zu arbeiten.“

  1. Die Balance von Reiter und Pferd

Ohne Balance geht im Gelände gar nichts. Michael Jung dazu: „Pferd und Reiter müssen ausbalanciert sein. Ein Pferd über eine kilometerlange Strecke zusammenzuhalten ist nicht möglich. Das Pferd soll in der eigenen Balance galoppieren und dabei nicht in der Hand liegen. Es entscheidet selbst in welcher Halshaltung es galoppiert. Das kann bei dem einen Pferd etwas freier sein, beim anderen etwas weniger. Auch das Bergauf und Bergab soll so geschult werden, dass es ohne permanente Unterstützung des Reiters auskommt.“ Ein Geländepferd muss sich selbst ausbalancieren können. „Das gehört zum Ausbildungsweg des Pferdes“, betont der Reitmeister.

Die eigene Balance zu trainieren ist ein wesentlicher Aspekt in der Ausbildung des Reiters. Nur so ist der Reiter auch sicher unterwegs und kann die Geländestrecke bewusst reiten und folglich auch genießen. Expertentipp von Michael Jung: „Man muss wissen, was man sich selbst zumuten kann und ein Gefühl dafür bekommen. Letztlich muss man selbst entscheiden, ob man das Grundtempo reiten kann. Oder ob ich dann die Kontrolle verliere, mein Pferd zu schnell müde wird oder die Balance verloren geht.“

  1. Die Kontrolle behalten

„Das wichtigste ist es, das Tempo so zu wählen, dass Pferd und Reiter sich sicher fühlen“, bestätigt auch Manfred Rust. Dabei hilft es die Strecke zu kennen und zu wissen, wo man Zeit verlieren bzw. gut machen kann. Sekunden verliert man etwa am Wasser, bei Tiefsprüngen und in engen Wendungen. Richter Croy: „Man sieht in den unteren Klassen immer wieder, dass Reiter Vollgas geben. Im Gelände ist jedoch aktives Reiten gefragt, nicht tschundern.“ Meist ist es mangelndes Wissen, denn in der Vielseitigkeit gewinnt nicht immer wer am schnellsten reitet, sondern wer der Idealzeit am nächsten kommt. In Stilgeländeprüfungen, wo der Gesamteindruck von Pferd und Reiter bewertet wird, oder in Geländepferdeprüfungen, in denen vorrangig die Sprung- und Galoppmanier des Pferdes zählen, kann es (aus Sicherheitsgründen) sogar Strafpunkte für zu schnelles Reiten geben. „Galoppieren wie man sich wohl fühlt“, fordert Michael Jung verantwortungsvolles Reiten ein.

  1. Die Anforderungen kennen

Sich mit der Geländestrecke intensiv auseinanderzusetzen bedeutet Sicherheit. „Ich muss wissen, ob ich schöne gerade Strecken zum Galoppieren habe oder einen kringeligen Kurs, wo es vielleicht gar nicht möglich ist, die vorgegebene Zeit zu reiten“, gibt Jung zu bedenken. Croy empfiehlt ein bewusstes Einschätzen des Tempos zu üben. Er weiß etwa, dass sich das Tempo in einem Waldstück anders anfühlt: „Wenn die Bäume so knapp vorbei zischen glaubt man oft schneller zu sein als man tatsächlich ist.“ Auch das Wegreiten von anderen Pferden sollte geübt werden. Alleine auf eine Strecke zu gehen fällt nicht jedem Pferd leicht. An Streckenabschnitten, wo das Pferd schön zum Galoppieren kommt, kann der Reiter den Galopprhythmus bewusst wahrnehmen. Die Hindernisse sollen immer aus dem Vorwärts und möglichst gerade in der Mitte anvisiert werden. Nur wenn das Pferd zur Seite drängt oder retour kommt, muss der Reiter korrigieren. „Wenn das jedoch Pferd gerade ist“, erinnert Croy, der stets für seinen exzellenten Stil bekannt war, „kann ich als Reiter ruhig bleiben. Dann muss ich nicht eingreifen und störe das Pferd nicht über dem Sprung.“ Profitipp von Manfred Rust: „Das Geradeausreiten muss vor der Prüfung ebenfalls geübt werden, insbesondere das Weitergaloppieren nach einem Sprung. Besonders Springpferde kennen aus dem Parcoursreiten keine langen Strecken zwischen den Sprüngen.“

  1. Start und Ziel

Die Startbox kann besonders am Anfang eine recht aufregende Angelegenheit sein. Zwar geht es in Einsteigerprüfungen oft mit einem „Fliegenden Start“ los, aber irgendwann wird es ernst. Michael Jung sieht den Start aus der Box recht entspannt: „Die ersten Male kriegen die Pferde das gar nicht mit. Man muss da ja nicht lange drinstehen, kann davor draußen ein wenig rumtraben, im Schritt rein und dann locker losgaloppieren zum ersten Sprung. Klug ist es, gar nicht zuviel Spannung aufkommen zu lassen.“ Er kennt auch ganz coole Pferde, die bis zum Startsignal warten können bevor sie losgaloppieren.

Im Zielbereich, der besonders bei Intro- oder Zweisterneprüfung meistens nicht allzu groß ist, werden die Pferde bald einmal durchpariert. Jung empfiehlt ruhiges Austraben und Ausgaloppieren nur, wenn der Boden gut ist. Und auch dann nicht lange, höchsten eine Minute oder eineinhalb. Nicht nacharbeiten, keine Spannung mehr aufbauen, sondern relativ schnell absteigen, Gamaschen runter, Sattelgurt lockern und führen im Schritt. Viel Schritt!

  1. Vielseitiges Tempotraining

Fazit: Wer sich auf eine Vielseitigkeit vorbereitet, darf auf bewusstes Tempotraining nicht verzichten. Häufig wird gerade für die Geländeprüfung viel zu sprungfixiert trainiert. Längeres und gleichmäßiges Geradeausgaloppieren gehören ebenso zur Vorbereitung wie flüssiges Bergauf- und Bergabgaloppieren. Auch das Wegreiten von anderen Pferden sollte gegebenenfalls geübt werden. Gemeinsames Galoppieren fühlt sich anders an als alleine zu reiten. Pferd und Reiterin müssen im Gelände mehr als in jeder anderen Disziplin ein eingespieltes Duo sein. Mit an Bord sollte ein erfahrener Trainer sein, der Pferd und Reiter optimal an das richtige Tempo heranführt.

Ich freue mich über Eure Erfahrungsberichte zum Temporeiten in den Kommentaren.


Dieser Text wurde im Rahmen der Serie Profitipps in der Pferderevue 6/2021 zum ersten Mal veröffentlicht, überarbeitet im März 2025. Text & Foto: © Andrea Kerssenbrock

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