Über, hinter und auf dem Zügel, Pferde mit Anlehnungsproblemen müssen vor allem eines – die treibende Hilfe annehmen.
Es gibt viele Arten für das Pferd sich der korrekten Anlehnung zu entziehen. Ob es nun gegen die Hand geht, sich aufrollt, einrollt, pullt oder mit dem Kopf schlägt. Für das Pferd ist die in den Richtlinien für Reiten und Fahren definierte „stete und weich federnde Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdmaul“ die mit Abstand komfortabelste. Es ist jene Anlehnung, in der das Pferd sein Potential optimal entfalten, seine Muskeln an den Stellen entwickeln kann, wo sie hingehören. Es ist, wenn man so will, die feine Verbindung, die ein Pferd physisch und psychisch gesund erhält.
Zu tief
Durch die selektive Pferdezucht der letzten Jahrzehnte haben wir heute das Vergnügen Warmblutpferde zu reiten, die mit einem extrem leichten Genick ausgestattet sind. Pferde, die bisweilen schwierig an die Senkrechte zu bringen sind, weil ihnen (noch) die Kraft in der Hinterhand fehlt. Sie kommen mit der Nase hinter die Senkrechte. Eine mangelnde Basisausbildung des Reiters begünstigt diese Haltung. Christoph Hess, Ausbildungsbotschafter der deutschen FN: „Diese Pferde setzen ganz andere als ‚normale‘ Reiter voraus. Denn um sie in Dehnung zu bekommen, muss man sich trauen sie mit dem Schenkel zu reiten. Ist ein Reiter dazu nicht in der Lage, weil er etwa nicht couragiert genug ist, beginnt das unangenehme Ziehen am Zügel.“
Beim guten Reiter findet das Pferd den Weg nach vorne. Durch den Schub aus der Hinterhand dehnen sich Hals-, Rücken- und Bauchmuskulatur. Pferde, die hinter die Senkrechte kommen, müssen lernen bei aktivem Hinterbein von hinten nach vorne in die Hand zu ziehen. Die Vorstellung „Ich schiebe das Maul vor mir her“ ist eine passende Metapher.
Doch eine Kopfhaltung hinter der Senkrechten bedeutet nicht automatisch, dass ein Pferd „in Rollkur“ geritten wird. Die Ursache für zu tief eingestellte Pferde liegt jedenfalls im Hinterbein. Manchmal fehlt den jungen Pferden einfach noch die nötige Tragkraft, um mit dem Genick höher und mit der Nasenlinie vor die Senkrechte zu kommen.
Zu eng
Auch beim Pullen, bei dem sich das Pferd mit engem Hals auf das Gebiss legt und versucht wegzulaufen, tendiert die Nase hinter die Senkrechte zu kommen. Wie der Name schon sagt zieht (engl. to pull) das Pferd mehr oder weniger heftig nach vorne und legt sich dabei auf das Gebiss. Dabei ist es schwer zu halten und ebenso schwer zu steuern, die Kontrolle zu behalten kann ein Kraftakt für den Reiter sein. Auch in diesem Fall muss der Reiter wieder zum Treiben kommen und das Pferd vor den Schenkel bekommen. Kurze Paraden, eine nach der anderen, auch einseitige, sollen den Druck vom Gebiss zu nehmen. Mit einer Zügelbrücke auf dem Widerrist kann der Reiter sich abstützen.
Pullende Pferde sind eine ziemliche Herausforderung für den Reiter, besonders wenn dieser sein Pferd nicht unter Kontrolle hat. Wer die Möglichkeit hat, sollte sicherheitshalber vorerst in einer Halle oder geschlossenen Reitbahn bleiben. Viele Übergänge und kurze Reprisen sowie Trab-Halt-Paraden können helfen, um das Pferd achtsamer zu bekommen. Bei heißen Pferden können zu viele Übergänge auch kontraproduktiv sein. Dann ist gleichmäßiges Reiten auf verschiedenen Hufschlagfiguren vielleicht erfolgreicher.
Besonders unangenehm ist auch das Aufrollen des Pferdes, bei dem der Reiter einen hoch aufgerichteten Hals vor sich hat und dabei keinen Zug in die Hand bekommt. Die Verbindung zum Pferdemaul fehlt, der Zügel hängt durch, das Pferd verhält sich und der Bewegungsablauf wird zappelig. Manches Pferd legt dabei zusätzlich die Zunge über die Trense. Dann heißt es absitzen und den Sitz von Zaumzeug und Trense kontrollieren.
Zu hoch
Ein Pferd, das sich nicht „beizäumen“ lässt, den Kopf hochreißt oder gegen die Hand geht, entzieht sich den Reiterhilfen auf höchst unangenehme Art und Weise. Denn mit dem Widerstand gegen die Hand geht das Wegdrücken des Rückens einher. Für den Reiter ergibt sich ein Bewegungsablauf, der schwer zu sitzen ist. Das Pferd spürt körperliches Unbehagen und verspannt seine Muskeln. Achtung: Ziehen erzeugt immer Gegenziehen. Dieses Match kann der Reiter nur mit reiterlichem Können gewinnen, niemals mit Kraft. Bei Pferden, die gegen die Hand gehen, kann ein Martingal sinnvoll sein.
Bei Anlehnungsproblemen empfiehlt sich eine sorgfältige Überprüfung der Ausrüstung, insbesondere des Gebisses. Der Reiter muss ausschließen können, dass der Sattel drückt, das Zaumzeug scheuert oder der Gurt zwickt. Körperliche Beschwerden oder Zahnprobleme könnten ebenfalls Ursachen für Anlehnungsfehler sein. Und darüberhinaus kann natürlich auch die Fütterung eine Rolle spielen. Passt die Kraftfutterration nicht zur Arbeitsleistung des Pferdes kann dieses durchaus heftig werden, pullen oder gegen die Hand laufen.
Die Königsdisziplin
Die korrekte Anlehnung sei die Königsdisziplin in der Reitpferdeausbildung, sagen manche Ausbilder. Jedes Pferd sei als Gesamtbild zu sehen. Gebäude, Charakter und Temperament jedes Tieres sind individuell und unverwechselbar. Beobachtet man ein junges, unverbrauchtes Pferd, das im Freilaufen gleichmäßig vorwärts-abwärts schwingt, dann gelte es diesen Bewegungsablauf zu erhalten, so Dressurreiterin Renate Voglsang. Sie mache sich immer Gedanken über die Pferde, die sie unter dem Sattel hat. Ist es ein Pferd mit einem Gebäudemangel? Ein Pferd mit hohem Blutanteil? Oder eines, das grell wird, wenn es müde ist? Wie ruhig oder wie fordernd muss ein Pferd gearbeitet werden? “Pferde, die pullen, haben oft eine stramme Muskulatur. Die bekomme ich über Biegearbeit, mit Wendungen nach links und rechts. Ich spiele mich so lange, bis sie ihren Körper aufmachen und geschmeidig werden. Blüter brauchen oft mehr Bewegung, dafür müssen sie in einem ruhigen Modus gearbeitet werden.“ Eins ist jedenfalls sicher: „Probleme vorne löse ich nur von hinten. Das Mittel der Wahl ist es immer, über die absolute Durchlässigkeit und ein gutes Tempo jene Dehnungshaltung zu erreichen, in der das Pferd sich wohl fühlt.“
MERKE: Die äußere Form der Anlehnung ist flexibel und hängt von zwei Faktoren ab – dem Ausbildungsstand des Pferdes und der Disziplin, in der es geht. So unterscheidet sich die Kopfhaltung eines Dressurpferdes in Versammlung deutlich von jener eines Vielseitigkeitspferdes, das in hohem Tempo durchs Gelände galoppiert. Beide befinden sich jedoch in steter Anlehnung, sind am Schenkel und stehen somit zu jedem Zeitpunkt an den Hilfen.
Tipps zur Verbesserung der Anlehnung
- Lebenslange Sitzschulung des Reiters
- Passende Ausrüstung
- Das Pferd die Anlehnung suchen lassen
- Durch Treiben das Pferd vor den Schenkel bekommen
- Schenkelweichen, Schenkelweichen, Schenkelweichen
- Gedanklich zur Hand hinreiten
- Manche Pferde tun sich im Galopp leichter als im Trab
- Kurze Reprisen, das Pferd nicht müde reiten
- Die Hände grundsätzlich ruhig am Widerrist
- Immer wieder mit den Händen vorgehen
- Das Pferd sich öffnen lassen
- Positive Körperspannung aufbauen
- Erst aussitzen, wenn der Rücken locker ist
- Immer wieder Dehnungshaltung fordern
Text: Andrea Kerssenbrock
Foto: Franziskus Kerssenbrock