Der Trend im Pferdesport geht eindeutig in Richtung Vielseitigkeit im Sinne abwechslungsreicher Ausbildung.
Es fühlte sich an wie eine kleine Rebellion. Damals vor gut dreißig Jahren, als ich begann die mir anvertrauten Dressurpferde im Gelände zu reiten. Nach erfolgreicher Prüfung zum Bereiter hatte ich ein neues Selbstbewusstsein Dinge umzusetzen, die ich für gut befand. Geländereiten war ein Teil davon. Mein Dressurtrainer der sehr alten Schule war nicht besonders begeistert, wenn ich ihm betont beiläufig den Wert der Wiese erklärte. Dass ich am Tag vor dem Dressurturnier am langen Zügel durch den Wald geritten war, konnte er mir vermutlich auch deswegen nachsehen, weil er recht gut an seinen Dressurlektionen verdiente. Er wusste, dass ich für die Vielseitigkeit brannte und übte sich in vornehmer Toleranz.
Wir teilten immerhin die Liebe zum Vollblutpferd. Und obwohl der Professor keinerlei Hoffnung hegte, mich für den Dressursport zu begeistern (womit er definitiv falsch lag), entsprach es seiner korrekten Art, mich sehr ernsthaft in die Glaubenssätze der Dressur einzuweisen, die in seinen Augen in die Reitbahn gehörte. Ich erinnere mich daran, dass wir eine ganze Trainingseinheit dafür aufwendeten, die Zügelführung auf Kandare zuerst an einem Zaum auf der Türschnalle zu üben und danach zwei Zügelpaare an einer Wassertrense montierten. Bei der Kandarenpremiere zu Pferd war mir schließlich ganz feierlich zumute.
Überhaupt erlebte ich eine geradezu altmodische Zeit im Pferdesport. Dressurreiten war sehr elitär und Pferde, die Fliegende Galoppwechsel sprangen, hatten diese selten in ihren Genen. Oft plagte man sich mit mittelmäßig begabten Pferden für einen einzelnen Fliegenden mehr als man es jetzt für Serienwechsel tut. M-Dressuren waren gefühlt die heutige Klasse S und nicht nur in der Spanischen Hofreitschule standen die Hengste noch in Ständen.
Moderne Dressurausbildung bedeutet, Pferde durch abwechslungsreiche Ausbildung zu gymnastizieren und zu motivieren. Carl Hester predigt es seit Jahren, die Werndl-Geschwister galoppieren es uns auf der Rennbahn vor und Ingrid Klimke hat gerade ein Buch zum Thema geschrieben. Genau diese Ausbrecher ins Gelände waren es, die unsere Pferde stets zu zufriedenen Partnern unter dem Sattel machten. Wir Buschis fühlten uns überlegen und schwörten auf unsere bessere Beziehung zu unseren Pferden. Die Auftritte im Viereck waren immer das Nebenprodukt jener Arbeit, die das Pferd fit für die Vielseitigkeit machen sollten.
Funktionalität vor Form bezeichnete es jüngst der Kommentator der Marbacher Frühlingsauktion, bei der einige junge Pferde sehr frei vorgestellt wurden. Frei im positiven Sinn, weil sie von ihren Reitern nicht in Schablonen gepresst wurden, die eine vermeintlich schöne Oberlinie und ein Gestrampel unter dem Sattel wiedergaben. “Wir arbeiten solide und unspektakulär”, bedankte sich eine zufriedene Landoberstallmeisterin Astrid von Velsen-Zerweck bei den Ausbildern der Pferde nach deren erfolgreicher Präsentation im Haupt- und Landgestüt Marbach. Was für eine Wohltat!
Zur Pferdegesundheit – der mentalen wie auch der physischen – trägt neben Aufzucht und Haltung eben auch die gute Ausbildung maßgeblich bei. Die Skala der Ausbildung ist und bleibt der Schlüssel zum gesunden Reitpferd. Sie ist überall anwendbar – auf der Wiese, dem Stoppelfeld, im Obstgarten oder im Wald – und Teil dessen, was allgemein unter Tierwohl im Sinne des Tierschutzes verstanden wird.
Text & Foto: Andrea Kerssenbrock