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Hufschlag, bitte!

Hufschlag, bitte!

Das hat mich doch wirklich auf dem falschen Fuß erwischt! Wie Reiterinnen miteinander umgehen ist bezeichnend – und fällt letztlich auch auf die Trainerin zurück.

Die guten Reiterinnen, und damit meine ich nicht das reiterliche Können, – obwohl, das auch –, sind eindeutig in der Minderheit. Dabei würde ich gar nicht sagen, dass die Mehrheit absichtlich “schlecht” ist. Menschen neigen eben zu Bequemlichkeit, im Denken wie im Tun. Zuletzt erlebt habe ich das im Rahmen eines Lehrgangs. Eine der zahlreichen Instruktorinnen unterrichtete parallel zum Lehrgangsleiter, was in Zeiten von Head Sets und Cee Coach wahrlich kein Problem darstellt. Zumal es sich bei beiden um Dressurunterricht gehandelt hat. Während der eine Trainer – ganz alte Schule – in der Reitbahn steht, nimmt die junge Unterrichtende in einem mehr oder weniger bequemen Stuhl in einer Hallenecke Platz und hüllt sich, der Jahreszeit angemessen, in wärmende Decken. Das ist soweit nachvollziehbar. Die Fangemeinde (der Reiterin? der Reitlehrerin?) gruppiert sich indessen im Bereich des offenen Hallentores. Sitzend und stehend nimmt man Anteil am Geschehen in der Reithalle, was einige Pferde irritiert, nicht aber die verursachenden Menschen.

Ich beobachte die Szene eine Weile und wundere mich. Selbstverständlich würde ich bei Pferden, die ganz offensichtlich trainiert und dabei irritiert werden, reagieren. Immerhin handelt es sich um eine Trainingseinheit. Das Pferd ist bandagiert, der Reiter adjustiert, die Stiefel glänzen ein bisschen mehr als sonst. Man hat sich vorbereitet, vorgefreut und vielleicht sogar gespart für diese Stunde. Nun schlägt der Reiter sich just während seiner Trainingsstunde in dieser einen Reithallenecke mit einem verstörten Pferd herum. Die Losgelassenheit endet dort, wo das Pferd sich auf die Menschengruppe zubewegt und hält auch danach noch an.

Ich beobachte also zunehmend verstimmt, dass keiner dieser Menschen sich weg vom Tor in den Zuschauerbereich hinter der Bande bewegt, der im Übrigen dafür gebaut wurde, Zuschauerinnen Platz zu bieten. Meine Bitte, es doch allen Reiterinnen ein wenig leichter zu machen und die Stunde vom Zuschauerraum aus zu beobachten wird nicht einmal ignoriert. Vielmehr wird sie noch mit einem flapsigen “Aber am Turnier muss er auch vorbeigehen” quittiert. Ich bin fassungslos. Das sagt ausgerechnet jene Person, die auf ein absolut unerschütterliches Pferd angewiesen ist, weil sie reiterlich einfach zu schwach ist, um ein Pferd mit mittelmäßigem Temperament zu beherrschen, zu sitzen oder auszubilden. Zudem ist eine mögliche Turnierteilnahme völlig unerheblich. Fakt ist, der Mensch stört an dieser Stelle. Und Rücksichtnahme ist Teil der Reitkultur – so habe ich das von meinen Reitlehrern, bei alten Meistern, Bundestrainern und bei vielen kultivierten Reitkolleg:innen in meinen 45 Jahren im Pferdesport gelernt, erfahren und auch immer (!) selbst gelebt.

MERKE: Rücksichtslosigkeit gegenüber Mensch und/oder Tier hat im Pferdesport nichts verloren!

Alleine die Formulierung “muss vorbeigehen”! Was ein Pferd muss und was nicht, entscheidet der Reiter, der Besitzer, allenfalls der Trainer. So ein Zuruf von draußen ist unsportlich, unangemessen, unhöflich, unerhört, eigentlich undenkbar, um noch ein Un zu bemühen. Ich finde, jeder Reiter und jede Reiterin haben ein Anrecht auf eine ungestörte Reitstunde.

Übrigens: Auch die Instruktorin hat nicht eingegriffen. Schüler:innen wie diese wären mir als Reitlehrerin so peinlich, dass ich bestimmt vermitteln bzw. das Gespräch suchen würde. Selbstredend hat jeder Reiter und jede Reiterin ein Anrecht darauf, sein Training ungestört zu absolvieren. Jemand, der das in Frage stellt, ist weder Ritter noch Reiterin. Und hat die Kultur des Reitens in keinster Weise verstanden. Denn die endet nicht, wenn ich mein Pferd in die Box gestellt habe. Vielmehr sollte sie so selbstverständlich sein wie das “Hufschlag frei, bitte” wenn ich kurz an der Bande halte oder das “Tor frei?” vor dem Betreten und Verlassen der Reithalle.

Fazit: Die Skala der Aussagen reicht leider auch im Pferdesport von A wie arrogant bis Z wie ziemlich daneben.

© Text: Andrea Kerssenbrock
© Foto: Max Kerssenbrock

2 Comments

  1. Florentine 05/04/2022

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Schön, dass es noch ReiterInnen gibt, die Wert auf Umgangsformen legen!

    Die geschilderte Fassungslosigkeit kann ich gut nachvollziehen: Als Zuschauerin bei einem Kurs, bat ich um mehr Ruhe bei den Mit-Zuschauern,um die Instruktionen des Reitlehrers zu verstehen. Schließlich war ich gekommen, um zu lernen. Zudem war das Zuschauen nicht umsonst. Statt einer Entschuldigung wurde mir gesagt, ich solle mich doch in die Reitbahn neben den Reitlehrer stellen, wenn ich alles hören wolle!!

    Ob ich mir demnächst auch im Theater oder der Oper anhören muss, dass ich auf die Bühne gehen soll, wenn ich Dialoge oder die Musik hören möchte?

    1. Andrea Kerssenbrock 05/04/2022

      Liebe Florentine, ich freue mich immer über Leserreaktionen und finde auch, dass wir Reiterinnen zusammenhalten sollen. Pferdesport ist eben auch Kultur, darum finde ich den Vergleich mit Theater und Oper besonders gut. Dankeschön! Herzlich Andrea

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