Der Wechsel von der Einzelhaltung in der Box zur Gruppenhaltung im Offenstall ist eine gravierende Änderung für Pferd und Reiter, das Eingliedern in eine Herde alles andere als ein Selbstläufer.
Der Wechsel von der Boxenhaltung hin zum Offenstall kommt nicht von ungefähr. Die Haltungsart eines Pferdes zu ändern ist weit mehr als ein Stallwechsel und hat meist einen triftigen Grund:
- Ansichten ändern sich – Menschen möchten ihrem Pferd eine möglichst artgerechte Haltungsform anbieten.
- Umstände ändern sich – das Pferd braucht eine Pause, manchmal auch der Mensch. Die Ursachen sind vielfältig – Rekonvaleszenz (von Pferd und/oder Mensch), Babypause (Reiterinnen), Pension.
- Möglichkeiten ändern sich – das Einkommen reicht nicht mehr aus, ein Stall schließt seine Pforten, die Mitreiterin springt ab, die Kosten sind zu hoch.
Ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich sage, der Entschluss ist über Monate gereift. Zuerst wälzt man seine Gedanken allein, schließlich will man immer nur das Beste für sein Pferd. Dann beginnt man sich mal umzuschauen. Welche Angebote wo verfügbar sind. Stall ist nie gleich Stall, das gilt auch für den Offenstall. Man berät sich mit anderen Pferdemenschen, besonders mit denen, die das eigene Pferd gut kennen. Zieht Trainer, Familie, Freundinnen zu Rate. Das Pferd zu fragen funktioniert diesmal nicht. Dabei ist es am meisten betroffen. Am Ende entscheidet man also allein.
Die Argumente für einen gut geführten (!) und gut angelegten (!!!) Offenstall wiegen schwer. Freie Bewegung und Sozialkontakte sind erwiesenermaßen das Um und Auf einer gesunden Pferdehaltung. Um den Bedürfnissen des Pferdes gerecht zu werden, soll ein Stall ein ausreichendes Bewegungsangebot liefern, den Pferden direkte Sozialkontakte ermöglichen sowie ständigen Zugang zu Raufutter und Wasser an verschiedenen, gut erreichbaren Positionen bieten. Für die Zeit von Mai bis Oktober wünschen wir uns weitläufige Weiden und für die nassere Jahreszeit einen großzügigen Auslauf mit befestigtem Boden. Keine Gatschkoppeln, kein Versinken im Morast, der sich mit Pferdeäpfeln und Urin mischt!
Weiters zeichnen den gut geplanten Offenstall genügend geschützte Bereiche mit großzügigen Liegeflächen aus. Im Idealfall hat der Schlafbereich Kojen oder Sichtschutzwände. Pferde liegen gerne dort, wo eine Art Deckung ein Schutzgefühl vermittelt – sei es vor Wind und Wetter oder vor anderen Tieren. Schließlich besteht eine Pferdeherde nicht nur aus Best Buddies, schon gar nicht, wenn sie immer wieder mal neu zusammengewürfelt wird. Das passiert, weil Pferde ihren Wohnort bisweilen öfter wechseln als ihre Besitzer. Folglich werden sie immer wieder mit neuen Tagesabläufen und Artgenossen konfrontiert.
Bis die Hierarchie in einer Pferdegruppe stabil ist, braucht es etwa sechs Monate. Ein Pferd für kürzere Zeit in eine Herde zu integrieren, bringt mehr Nach- als Vorteile und lohnt den Aufwand nicht. Der Anfang ist ohnehin mehr Stress als Vergnügen. Das Pferd startet als Außenseiter. Die ersten Tage (und Wochen) kosten Kilos und Nerven, verursachen Schrammen und Narben und fordern das Immunsystem. Auch als Besitzerin erlebt man die erste Zeit durchwachsen. Selbst wenn keine Zweifel an der Haltungsform aufkommen, so tun uns die Pferde trotzdem leid. Es ist wie damals im Kindergarten.
MERKE: Eine homogene Herde formiert sich nicht über Nacht. Es ist also besser in Monaten als in Wochen zu denken.
Der Start im organisierten Offenstall findet idealerweise in einer Integrationsbox statt. Diese ist so angelegt, dass sie Kontakt zur wie auch Rückzug von der Gruppe ermöglicht. Der Neuzugänger verbringt jedenfalls ein paar Tage in seiner Box und muss in der Zeit gesondert bewegt werden. Futter und Wasser stehen ihm noch exklusiv zur Verfügung. Spätestens nach einer Woche darf der Neue für ein paar Stunden in die Gruppe. Der Zutritt zu den Innenbereichen und zur gemeinsamen Tafel kann ihm (noch) verwehrt bleiben.
Das erste Kennenlernen wird mitunter recht lebhaft. Es wird geschnuppert, gequietscht, gelaufen. Neugierige Kumpels, aggressive Machos, verträgliche Gesellen und wenig interessierte Pferde formieren sich und demonstrieren ihre jeweiligen Positionen. Für den Neuzugang sind dies herausfordernde Zeiten. Der anfänglichen Neugierde und dem Besichtigen der Anlage folgt ein respektvolles Beobachten mit Abstand. „Meiner ist wochenlang allein auf dem Hügel gestanden“, hat mir einer Pferdebesitzerin erzählt, deren Pferd sogar einmal ausgebrochen und zurück in seinen Boxenstall gelaufen ist. Sie hat trotzdem keinen Moment gezweifelt. „Er war auch ziemlich ramponiert, aber sein Blick war immer gut“, ergänzt sie und weiß, der Wallach wohnt gerne so. Für die junge Mutter ist die Haltung im Offenstall die perfekte Lösung, sie muss nicht jeden Tag reiten, damit das Pferd seine Bewegung hat. Eine Umstellung zurück in die klassische Box kommt wohl weder für die Frau noch für das Pferd in Frage.
Pferde sind sehr exklusive Wesen. Exklusiv wie anspruchsvoll, aber auch exklusiv wie ausgrenzend. Die Macht der Gruppe ist allgegenwärtig, der Ausschluss aus der Gruppe verheerend. In der freien Wildbahn bedeutet das mitunter den Tod. Den Schutz der Herde setzt man lieber nicht aufs Spiel. Pferde haben ein extrem angepasstes Sozialleben mit Artgenossen. Ihre Position in der Gruppe wird ihnen zugeteilt. Das Offenstallmanagement bedarf darum großer Sorgfalt.
Für den Neuzugang bedeutet dies, dass die Zeit innerhalb der Gruppe sukzessive verlängert wird. Im nächsten Schritt bleibt er tagsüber durchgehend in der Gruppe. In den Nächten bezieht der Neue weiterhin seine Box, wo er ungestört fressen und saufen kann. Erst wenn der ungehinderte Zugang zu den von allen Seiten zugänglichen Heuraufen und zu den Tränken gesichert ist, wird das Pferd Vollzeit in die Gruppe entlassen. Boxen stehen weiterhin für die individuelle Fütterung (Medikamentengabe), bei medizinischer Notwendigkeit sowie für die nächsten Neuzugänge zur Verfügung.
Unsere geschlossene Gruppe verschieden alter, verschieden großer und verschiedenrassiger Wallache zeichnet sich zudem durch ihre Vielfalt aus Youngstern, Pensionisten, Freizeit- und Sportpferden in Pause aus. Das überaus gesprächige, zahnlose Shetlandpony ist glückliche 37 Jahre alt und begrüßt jeden, der in den Stall kommt. Es hat immer Hunger, frisst begeistert seinen Mash und verteilt ihn so großzügig auf dem Boden wie es sich großzügig gegenüber den Neuzugängen verhält. Der kleine Kerl ist sehr freundlich und immer interessiert. Den Lebensabend sieht man ihm definitiv nicht an.
Insgesamt ist die Gesellschaft sehr geschlossen und jeder Neue muss geduldig auf dem Hügel warten, bis er in den Liegebereich, zum Raufutter oder den Kumpels vorrücken darf. Die Entscheider beobachten wiederum das Wohlverhalten und belohnen es zu gegebener Zeit mit der Aufnahme in die Gruppe. Es ist ein bedeutender Moment, denn ab dann lebt das Pferd Bewegung, Sozialkontakt, Nahrungsaufnahme, Ruhezeiten so, wie es die Natur vorsieht. Als Mitglied der geschlossenen Gesellschaft.
Best of Offenstall – Pferd
- Gleichgeschlechtliche Gruppen
- Großer geschützter Bereich, überdacht und wetterfest
- Genügend Auslauf, damit auch Gruppierungen innerhalb der Gruppe möglich sind
- Mehrere Fress- und Wasserplätze, damit auch rangniedrige Tiere immer Zugang haben
- Schlafplätze mit Schutzwänden sorgen für Sicherheitsgefühl und nötige Ruhe
- Keine Winkel und Ecken, in denen Tiere in die Enge getrieben werden können!
- Mehrere Fress- und Integrationsboxen
- Raum für Zusatzfutter, Equipment
- Putz- und Waschplatz
- Warm- und Kaltwasser
- Sichere Umzäunung, idealerweise Holz und Strom
- Stallapotheke
Best of Offenstall – Mensch
- Raum zum Umziehen, im Winter beheizbar
- Saubere Sanitäranlagen
- Höfliche Mitmenschen
- Befestigter Parkplatz
- Round Pen und/oder Reitplatz mit pferdegerechten Böden
- Ausreit-, Spaziermöglichkeit
© Text und Fotos: Andrea Kerssenbrock