Ein Plädoyer für mehr Gruppendynamik im Reitunterricht. Die Vorteile des gemeinsamen Trainings aus der Perspektive einer Reitlehrerin für Schul- und Privatreiter.
Ich habe immer gerne Gruppen und Abteilungen unterrichtet. In jeder Form des Trainings – sei es nun in der Reitbahn, im Spring- oder Geländeunterricht, im Schulbetrieb oder privat. Vom Ponykind bis zum fortgeschrittenen Reiter kann jeder vom anderen und ganz besonders von der Dynamik des Gruppenunterrichts profitieren. Gerade in der Vermittlung von Grundlagen – sei es nun die korrekte Linienführung oder das Springen über Hindernisse – entstehen alleine beim Zuschauen oder Nachreiten unglaublich viel Verständnis und das eine oder andere Aha-Erlebnis.
Früher haben wir gelernt, dass wir uns viele Reitstunden anschauen sollen. Es wurde empfohlen, hinter der Bande Platz zu nehmen und vom Zusehen zu lernen. Das funktioniert selbstverständlich auch vom Pferd aus. Es ist aber gar nicht so leicht einzurichten, denn seit geraumer Zeit überholt der Einzelunterricht die Gruppe auf praktisch allen Hufschlägen. Mit dem CeeCoach im Ohr des Reiters kann man als interessierter Zuschauer weder Anweisungen noch Korrekturen folgen. Das ist, wenngleich verständlich, trotzdem schade, weil guter Unterricht interessant ist. Nicht immer ist für mich nachvollziehbar, warum der Einzelunterricht auch für jene so populär ist, die besonders davon profitieren würden, wenn sie mit anderen Reiterinnen und Reitern gemeinsam eine Stunde reiten.
Die Vorteile sind überwältigend
Pferde sind Herdentiere und fühlen sich in der Gruppe meist sehr wohl. Gemeinsam reiten macht zudem Spaß. Es verkürzt allein die gefühlt lange Aufwärmphase im Schritt, wenn man sich dabei unterhalten kann. Wir lernen unsere Pferde besser kennen ohne gedankenlos aufs Handy schauen. Wir sehen, wie sie auf andere Pferde reagieren, ob sie im Schritt mit ihnen mithalten können, lieber außen oder innen gehen. Wir können ihr Ohrenspiel beobachten und wie sie sich auf ihre Umgebung einlassen. In der Arbeitsphase selbst profitieren Reiterinnen in vielerlei Hinsicht. Wer kennt es nicht: Man hört etwa eine Korrektur, die an jemand anderen gerichtet ist, und setzt sich gleich selbst aufrechter hin oder greift die Zügel nach. Man lernt, Abstände korrekt einzuhalten, rechtzeitig abzuwenden und das Tempo seines Pferdes zu kontrollieren. Im Einzelunterricht hat man dagegen meist Vorrang und reitet auch so.
Selbst gemischte Gruppen mit Schul- und Privatpferden oder mit mehr oder weniger geübten Reitern funktionieren wunderbar – vorausgesetzt, der Unterrichtende hat genügend Erfahrung. Es braucht Gespür und Verständnis für Methodik wie auch Didaktik – beides kommt im herkömmlichen Unterricht oft zu kurz. Vom Zuschauen lernt man bekanntlich auch vom Sattel aus. Und so hat es noch keinem Grundschüler geschadet, zu verfolgen, wie geübte Reiterinnen Lektionen vorbereiten und ausführen. Oder welche Korrekturen angemessen sind.
Gemeinsames Reiten ist auch beim Springen sinnvoll. Und im Geländepark bewährt es sich ganz besonders. Zum einen kann der Trainer Verschnaufpausen eines Reiters nutzen, um mit anderen Reitern zu arbeiten. Ideal ist es, wenn etwa ein Führpferd einem unerfahrenen Pferd ins Wasser oder über einen Graben vorausgehen bzw. -springen kann. Auch hier lernt man viel vom Zuschauen und Analysieren der Ritte anderer Teilnehmerinnen. Zusätzlich bewährt sich gerade im Geländeparkt die Anwesenheit anderer Pferde – siehe Herdentier. Denn sollte tatsächlich ein Pferd reiterlos über den Platz galoppieren, ist die Chance größer, dass es bei der Gruppe bleibt, wenn eine Gruppe (oder ein anderes Pferd) vorhanden ist.
Gruppenunterricht bedeutet Rücksicht, gemeinschaftliche Erfahrungen, Jung und Alt im selben Setting, mit ähnlichen Anforderungen und gemeinsamen Themen. Selbstverständlich hat der Einzelunterricht ebenso seine Berechtigung, zwischendurch für fokussiertes Training, Turniervorbereitung und natürlich im gehobenen Sport bis hin zum Leistungssport. Im Freizeitsport sollte hingegen viel mehr zusammen geritten werden. Denn die Dynamik der Gruppe ist wertvoll und bereichernd. Und seien wir mal ehrlich: In welchem anderen Sport kann man geschlechter- und altersübergreifend gemeinsam so sinnvoll trainieren wie im Pferdesport und dabei auch noch Spaß haben?
Fotos und Text: © Andrea Kerssenbrock
Weiterführende Links: Die Reitvermittler , 10 Tipps für das Abteilungsreiten