Weil großartige Sportler großartige Sportler bleiben. Hier das Portrait.
Das große Ziel des deutsche Vielseitigkeitsreiters Andreas Ostholt, dieses Jahr Zweiter in Badminton, war zum Greifen nah. HorseFolk hat ihn daheim in Warendorf besucht, als der Traum vom Olympiastart noch nicht geplatzt war.
„Weißbier“, sagt Andreas Ostholt und „Kaiserschmarrn“. Radio Allgäu ist am Telefon und befragt den Sportler zu seiner Verbindung in den alpinen Süden. Von dort stammt seine Frau. Dort hat er sich wohl auch den kernigen Gruß „Servus“ zu Eigen gemacht, der hier oben im Münsterland Westfalens irgendwie fremd klingt. Es sind die Tage zwischen Aachen und Rio und der Hauptfeldwebel der Bundeswehr ist ein gefragter Gesprächspartner der deutschen Medien. Ein Star. Ohne Allüren.
Müsste man Andreas Ostholt mit einem Wort beschreiben, so wäre es wohl der Begriff „Geradeaus“. „Ich bin immer geradeaus geschwommen“, sagt er früh am Tag. Den Morgen hatte er mit seinem Sohn Ludwig verbracht und war danach zur Kaserne geradelt. Gleich hinter dem Pferdestall der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf parkt sein roter XL-Tonner. Am Turnier wird hier drinnen gewohnt, „Wir haben zu dritt gut Platz, Ludwig, Sabrina und ich“. Seine Familie bedeutet ihm alles. Nun taucht er kurz ab in das Badezimmer des roten Riesen und rasiert sich erst mal.
Es ist Tag zwei nach Aachen. Im roten LKW hängt ein graublauer Anzug. Ostholt hatte ihn eigens für Hans Günter Winklers Geburtstagsparade in Aachen gekauft. Er kam nicht dazu ihn zu tragen. Zum Zeitpunkt der Feierlichkeiten bereitete er auf dem Abreitplatz sein Olympiapferd So is et auf die Dressuraufgabe vor. So sah es der Zeitplan beim CHIO vor. So is et.
Es tue ihm schon sehr leid: „Ich habe mich zwar darüber gefreut, dass ich vierter Mannschaftsreiter im Nationenpreis war. Aber ich war bei diesem Empfang leider nicht existent.“ Ostholt hätte den Jubilar zur Kutsche geleiten und ihn begleiten sollen. „… als sein Ziehsohn, das war schon sehr schade. Ich hatte mich darauf gefreut.“ Er zieht den Zipp der Reitstiefel hoch. Pflegerin Sandra hat So is et gesattelt.
„Was mich an So is et immer fasziniert hat, ist sein guter Charakter, sein entspanntes Wesen. Er ist ,einfach so da’. Sein Auge ist ruhig und total klar. Er würde mit ins Bett kommen.“ Andreas Ostholt sagt über So is et, „dass dieses Pferd ein Paradebeispiel für korrekte Ausbildung ist“. Soey, wie er liebevoll auch genannt wird, kam als Vierjähriger zu Ostholt und ist seither – wie sein Reiter – einen sehr geraden Weg gegangen: „Soey will immer alles richtig machen. Er war stets sehr korrekt in seiner Arbeit, ist in den Jahren an sich selbst gewachsen. Er war nie spektakulär.“
Von wegen! Dass Soey ziemlich spektakulär sein kann, hat er spätestens dieses Jahr in Badminton am berüchtigten Vicarage Vee grandios gezeigt. Als er in der Landung hinter dem Graben strauchelt und wieder auf die Beine kommt, „obwohl dies anatomisch gar nicht möglich sein konnte“, wie der deutsche Mannschaftstierarzt ungläubig wieder und wieder das Video analysierte. Dass Ostholt selbst dabei nicht vom Pferd stürzte, kommentierte er später lapidar mit: „Good saddle, good seat position.“
Jenes Hindernis, das weder Grundlinie noch Oberlinie, eigentlich gar keine Linie hat und so über dem Graben steht, wie das eben nur in Badminton möglich ist, war auch dieses Jahr eine Schlüsselstelle im ****-Gelände des Vielseitigkeitsklassikers. Andreas Ostholt dachte nur „Nicht heute, nicht heute!“ Soey meisterte die haarige Situation mit unglaublichem Geschick. „Er galoppierte weiter und ich war der glücklichste Mensch der Welt“. Mit einem Score von 43,4 ritten die beiden hinter Michael Jung auf Platz zwei der Mitsubishi Motors Badminton Horse Trials 2016.
Andreas Ostholt trabt unterdessen mit Soey über die grünen Wellen zwischen den Reitplätzen. Er erzählt, plaudert, lobt. Im leichten Galopp geht es über die Plätze. In der Rolle rückwärts runter vom Pferd. So is et hat ein unendlich gütiges Wesen und dabei seinen Job immer gut gemacht. „Er ist siebenjährig Jungpferde-WM gelaufen und war immer unter den Top Ten wenn ich Leistung bringen wollte“. Das Interieur des kleinen Westfalen ist wohl einmalig. Nur alleine bleibt Soey unter keinen Umständen. Aber das muss er auch nicht.
Auf dem zentral gelegenen Reitareal im Hof der Kaserne begegnen wir Rüdiger Schwarz, der an diesem Morgen mit der olympischen Reservereiterin Julia Krajewski trainiert. Nächstes Jahr wird Andreas Ostholt in Schwarz’ „große Fußstapfen treten.“ Dann übernimmt er in Warendorf die Jungen Reiter, U25 und Perspektivgruppe als Bundestrainer, Julia wird ihn als Verantwortliche für die bis 18-jährigen Reiter unterstützen. Die Aufgabe ist eine große für den 38-Jährigen, zumal er weiterhin als A-Kaderreiter im Sport starten wird.
Der Berufssoldat und Pferdewirtschaftsmeister ist auf die bevorstehende Position als Bundestrainer tadellos vorbereitet. Er hat nach dem Abitur ein Diplomtrainerstudium an der Sporthochschule Köln abgeschlossen und sich intensiv mit Mentaltraining auseinandergesetzt. Ostholt weiß genau, was einen leistungsfähigen Athleten ausmacht.
Mit seinem Kommilitonen und Schwager Michael Fellmann, Olympischer Segler in Athen, räumte der ehemalige Fünfkämpfer mit sämtlichen Vorurteilen auf. Von wegen „Der Reiter, der sich tragen und der Segler, der sich treiben lässt.“ Monotone Sportarten wie Schwimmen oder Laufen seien nicht der bevorzugte Ausgleich zum Reiten, stellt Ostholt fest. Ein ideales Athletiktraining ist für ihn das Boxen. Es nimmt Angst, macht schmerzfrei, fördert Taktik, Koordinationsfähigkeit und Antizipation – allesamt wesentliche Eigenschaften für den (Vielseitigkeits-) Reiter. Andreas Ostholt ist Athlet durch und durch.
Mit ungeheurem Tatendrang hat Ostholt die Reitausbildung der Sportschule der Bundeswehr in wenigen Jahren zu einem Leistungszentrum gemacht, das seinesgleichen sucht. Die Trainingsbedingungen sind ideal, die Reitplätze halten größten Belastungen stand, der Allwetterplatz erfüllt mit seinen fixen Hindernissen höchste technische Standards, weiße Hölzer laden zum Taxieren ein. Eine zarte Reiterin auf einem mächtigen Braunen baut wie beiläufig Gräben, Wälle und Oxer in die (Dressur-) Arbeit ein. Das Zuschauen ist ein Genuss. Der Trainingsplatz sei Teil der Erfolgsgeschichte der deutschen Vielseitigkeit, ist Ostholt überzeugt. „Ich bin hier der glücklichste Mensch.“
Seit Ostholt an der Sportschule tätig ist, hat sich einiges verändert. „Da es die Wehrpflicht nicht mehr gibt, sind alle aus eigenem Antrieb hier. Einfach, weil sie da sein wollen.“ Der leidenschaftliche Berufssoldat hat gute Rückendeckung aus dem Kommandeursbüro und scheut sich nicht, bei Bedarf, seine Anliegen auch ganz oben zu deponieren. Sein Vorgesetzter, Oberst Michael Maul: „Wir sind mächtig stolz auf ihn und sein Pferd. Andreas Ostholt ist der erste Bundeswehrreiter Deutschlands, der an Olympischen Spielen teilnimmt.“ Für die Sportschule der Bundeswehr sei der Pferdesport in Warendorf extrem wichtig, so der Kommandeur.
Doch halt, einen Wermutstropfen gibt es. Oberst Maul bedauert, dass das IOC einen Start in Uniform bei den Olympischen Spielen untersagt hat, da „das Tragen militärischer Uniform als politische Propaganda gilt und deswegen verboten ist“. In Aachen hat Ostholt Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen direkt darauf angesprochen, denn „Ich stehe zu meiner Uniform und trage sie auch immer und überall.“ Damit ist das Thema auch an oberster Stelle deponiert. Noch höher sitzen in dieser Sache nur die Granden des IOC.
Nun müsse er erst mal üben in Frack zu reiten, zumal Soey das Kitzeln der Frackschöße an den Flanken bislang nicht kennt. Ob er denn dabei sein dürfe, wenn Ostholt das erstmals ausprobiere, fragt sein Vorgesetzter leicht belustigt. Auch im Kommandeursbüro klingelt Ostholts Telefon, Hufe klappern im Hof. Ein Journalist nimmt es zum Anlass zu fragen wie Ausbildner Ostholt es denn mit Smartphones beim Reiten halte. Seine Regel sei etwas luftiger ist als die im Verband sagt der mit breitem Grinsen: „Ich bin ja immer gerne pragmatisch. Es gibt Regeln – nicht bei der Arbeit und nicht auf Asphalt –, aber am Platz ist es erlaubt. Dann reiten die Schüler wenigstens Schritt.“
Warendorf liegt mitten im Pferdekernland Nordrhein-Westfalen und ist unbestritten die Pferdehauptstadt Deutschlands. In unmittelbarer Nähe zur Sportschule der Bundeswehr befinden sich die Deutsche Reiterliche Vereinigung, das Deutsche Olympische Komitee für Reiten, das Landgestüt mit der deutschen Reitschule und – der Birkenhof, Wohnsitz von Springlegende Hans Günter Winkler.
Den Reitstall am Birkenhof hatte Andreas Ostholt mit seiner Frau vor sechs Jahren von Hans Günter Winkler übernommen. Beim Besuch auf dem Anwesen treffen wir den Jubilar im Rahmen von Dreharbeiten, die der Westdeutsche Rundfunk (WDR) zu Ehren seines 90. Geburtstages dreht. Ein Stein im Garten erinnert an Debbie Winklers viel zu frühen Tod. Auf dem Sandplatz unter den Bäumen stellt uns Andreas seinen Praktikanten Georg Scheiblhofer aus Oberösterreich vor: „Ohne die Begeisterung unserer Praktikanten ginge es nicht, das kann man ruhig mal schreiben!“ Georg sitzt im Sattel des sechsjährigen Aramis, Besitzer ist Hans Günter Winkler. Andreas Ostholt übernimmt das Pferd und macht ein paar Sprünge fürs Fernsehen.
Und wie ist das nun mit den wieder und wieder medial thematisierten Risiken im Vielseitigkeitssport? Ostholt nimmt das „Hindernis“ gewohnt souverän: Das Pferd müsse seine eigene Einstellung mitbringen, „Die Vielseitigkeit ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Pferd entscheidet.“ Der Weg ist lang, mit der gemeinsamen Ausbildung wächst man als Paar und lernt einander kennen. Als Reiter bereite man sein Pferd vor. Man macht Tempo, Balance, Spannung. Die Entscheidung am Hindernis abzuspringen trifft aber immer das Pferd, „Das ist nicht Glück oder Pech!“
„Das Pferd leben und entscheiden lassen ist das Resultat des einmaligen deutschen Ausbildungssystems in Kombination mit der englischen Eigenschaft das Pferd sein zu lassen. Der Pferdesport ist da wie dort ein Kulturgut.“
„Aachen hat uns gezeigt wo es hingeht. Wir haben Traumbilder gesehen. Der Kurs war total selektiv und ohne Sturz.“ Diesen Weg möchte Andreas Ostholt nicht nur mitgehen, sondern auch mitgestalten. Dass es im Spitzensport immer wieder Unfälle geben wird, lässt sich nicht vermeiden. Aber „das Pferd drückt schon aus, wenn es keinen Spaß hat“. Darauf zu hören und sein Pferd zu lesen, ist auch Thema seines Unterrichts.
Wir hören Sätze wie „Lass ihn atmen“, „Du musst das Pferd ehrlicher öffnen“, „Denk weniger an Kontrollieren als an Atmen lassen“ und „Springen lassen“. „Am Körper halten“, „Nach vorne gucken und gehen lassen“, „Vor dem Körper, vor dem Körper!“, „Nicely in front of the leg!“
Ausbildung ist und bleibt das große Thema des Ausnahmeathleten. Schülerinnen und Schüler aus Amsterdam und Bonn kommen eben mal zum Training nach Warendorf. Nachwuchsreiter Felix Etzel hat gleich drei Pferde mitgebracht. Der belgische Meister Julien Despontin hat Belgischen Milchreiskuchen im Gepäck. Es ist vier Uhr nachmittags und die erste Mahlzeit, die Andreas Ostholt heute zu sich nimmt. Morgens mag er nichts, mittags kommt er nicht dazu und zwischendurch bleibt auch keine Zeit.
Die leckere „Rijsttaart“ wird auf den Treppen des roten LKW deutlich dezimiert während Julien sein Pferd fürs Training vorbereitet. Der Erfolg seiner Schüler – neben dem belgischen trainiert er auch den tschechischen Meister – steht längst nicht mehr in Konkurrenz zu den eigenen Erfolgen. Er habe „unheimliche Durstjahre als Sportler“ hinter sich. „Ich habe immer erfolgreiche Schüler gehabt. Die haben das ABC bei mir gelernt und lagen dann in der Prüfung wieder vor mir. Das war schon schwer. Besonders bei Championaten.“
Nun also Olympia. Es war sein zweites großes Ziel. Wenigstens einmal. Und einmal Badminton vernünftig. Das ist ihm heuer schon gelungen. Ebenso wie die coolen Fan-T-Shirts, die „weggehen wie warme Semmeln“. Alles ganz ordentlich für einen „kleinen Warendorfer Bauernsohn“. Der Unterricht geht weiter. „Das Pferd atmen lassen, den Ablauf erkennen, nicht totreiten. Vertrauen haben.“ Das Telefon klingelt. Radio Allgäu bittet um ein Interview.
Text: Andrea von Kerssenbrock
Fotos: Franziskus von Kerssenbrock
Diese Reportage entstand mit Unterstützung von Voltaire Design – Partner von Andreas Ostholt und Kooperationspartner von HorseFolk Magazin.