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Reden wir über normale Pferde

Reden wir über normale Pferde

Das Internet verwöhnt uns mit abnormalen Pferden und optimierten Reiterinnen (meistens) und Reitern (manchmal). Das normale Pferdeleben ist anders und wünschenswert.

Wenn ich mit meiner Reitlehrerkollegin V auf einer unserer langen Geländerunden bin, reiten wir viel Schritt und reden dabei über schönes Reiten. Damit meinen wir zufriedene, normal gehende Pferde. Unabhängig von Rasse, Abstammung und Preis wünschen wir uns Pferdebesitzerinnen, die sich davon beeindrucken lassen, dass ihr Pferd angenehm zu reiten ist. Ohne Wenn und Aber. Ohne spektakuläre Tritte, dafür spektakulär entspannt.

“Working on the basics”, ist das Credo fast aller erfolgreichen Profis. Pferde einrahmen, ihnen Sicherheit vermitteln, Vertrauen in die Arbeit mit dem Reiter – das sollten die Grundsätze aller Ausbildner sein. Warum Ausbilder mit mittelmäßiger Ausbildung passage-artigen Trab auf Pferden in absoluter Aufrichtung reiten, liegt wohl auch daran, dass Pferdebesitzer daran Gefallen finden. Wir bestqualifizierte Reitlehrerinnen mit staatlicher Ausbildung wundern uns.

Ein Pferd müsse sich problemlos von A nach B reiten lassen, bestätigt etwa Lucinda Green, die einigermaßen exaltierte Pferde unter dem Sattel hatte. Die Rekordhalterin im Vielseitigkeitssattel – sie hat den Fünfsternklassiker Badminton mit sechs verschiedenen Pferden gewonnen – achtet und lobt auch die kleinen Fortschritte eines Pferdes. Jetzt kann man natürlich anmerken, dass ein Buschpferd nicht ganz so schöne Gänge braucht wie ein Dressurpferd. Aber seien wir mal ehrlich, ein Freizeitpferd braucht sie genauso wenig! Bequem zu reiten und bequem zu sitzen macht entschieden mehr Spaß, als den Trainer in den Sattel zu bitten, weil man selbst überfordert ist.

Die Suche nach dem richtigen Pferd ist ein großes Thema. Doch die Suche nach dem richtigen Reiter ist nicht weniger mühsam. Ganz bestimmt gibt es mehr gute Pferde als gute Reiterinnen und Reiter. Trotzdem hat jedes Pferd ein “normales” Pferdeleben verdient. Zwischen Leistungssport und Knotenhalfter gibt es genügend Reitweisen und Disziplinen, um die richtige für Pferd und Reiter zu finden. Im Vordergrund soll aber immer die geduldige, korrekte und aufbauende Ausbildung beginnend bei Takt, Losgelassenheit und Anlehnung stehen. Es folgen der Schwung (der oft mit Tempo verwechselt wird), das Geraderichten (zweiter Hufschlag!) und zum Schluss (also ein paar Jahre später) die Versammlung.

Für den ganz normalen Pferdealltag. Für Pferde, die normal im besten Sinne sind.

Text & Foto: Andrea Kerssenbrock

 


Die beste Zusammenfassung zur Pferdeausbildung gibt es in den Richtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung nachzulesen. Hier ein Ausschnitt:

Die klassische Reitlehre*…

  • orientiert sich an der Natur, d.h. an den Bedürfnissen und den natürlichen, individuellen Anlagen des Pferdes
  • berücksichtigt die körperlichen Voraussetzungen des Pferdes und das natürliche Verhalten
  • ist bei richtiger Anwendung artgerecht und führt zum Wohlbefinden des Pferdes
  • zielt ab auf eine ausgewogene Gymnastizierung und Kräftigung des Pferdes
  • bezieht sich auf die Ausbildung eines jeden Pferdes und ist abwechslungsreich und vielseitig angelegt
  • schafft und erhält ein leistungsbereites, willig und vertrauensvoll mitarbeitendes Pferd
  • fordert vom Reiter einen elastischen, ausbalancierten Sitz, eine gefühlvolle, feine Hilfengebung sowie das Verständnis für die Natur des Pferdes und die Zusammenhänge dieser Reitlehre
  • führt zum inneren und äußeren Gleichgewicht bei Pferd und Reiter

*Quelle: Pferd-aktuell.de