Auswirkungen des plötzlichen Reitverlustes auf Körper und Geist.
Was macht es mit einem, wenn man ein Pferd, aber nichts zu reiten hat? Die Rede ist nicht von einem Pensionisten. Da kann man sich als Mensch ganz gut darauf einstellen und langsam gemeinsam hinwachsen. Es ist ein Ausklang, das Training ändert sich, man passt sich den Bedürfnissen des alternden Pferdes an und begnügt sich mit Gemütlichkeit. Beim Sportpartner Pferd hingegen, das sich in seinen besten Jahren befindet, gibt es ebenfalls genug niederschmetternde Diagnosen. Man sollte trotzdem nie den Mut verlieren. „Die Zeit heilt alle Wunden“, so wahr, so trost-los. Und man fragt sich: Was ist mit unseren Pferden los?
#1 Das Pferd der Freundin ist 13 Jahre alt. In den fünf Jahren seit sie es hat, war es drei Jahre rekonvaleszent. Nicht am Stück, aber immer wieder. Momentan ist der Wallach im Offenstall gut untergebracht und wird dort auch bleiben. Zweimal hat er das Antrainieren nach einer Verletzung nicht ausgehalten, mit Glück klappt es beim dritten Mal. Die Besitzerin ist nicht ausreichend zuversichtlich, dass der brave Oldenburger, den sie und die Tochter gemeinsam ausgesucht hatten, diesmal hält. Die Tochter hat inzwischen ein neues, junges Pferd. Die Mutter hofft, den großen Braunen irgendwann wieder spazieren zu reiten. Ihn aus dem Offenstall zu nehmen, wagt sie nicht: „Das kann ich dem Buben nicht antun. Ich habe schon den Eindruck, dass er dort glücklich ist. Und was, wenn er nicht hält? Dann habe ich ihn aus der Gruppe gerissen und im schlimmsten Fall ist sein Platz weg und er kann nicht zurück.“
#2 Der begabte Dressuraspirant einer Berufsreiterin hatte lange keinen Befund, aber immer wieder Blessuren, die ihn aus dem Training holten. Mal war es eine Naht nach einem Schlag auf der Koppel, mal eine Kolik, dann wieder eine überschießende Impfreaktion. Zwischendurch war er fit. Da lief er von genial gut bis hoch explosiv. „Der ist nicht normal“, konstatierte die Trainerkollegin und ließ offen, ob ihr das gefiel. Als Pferdebesitzerin grübelt und probiert sie. Tierarzt, Chiropraktik, Schonprogramm. Schlaflose Nächte, Abwägen, sich in Frage stellen. Nach einer Weile geht es weiter, einfach so, als wäre nichts gewesen. Turniererfolge stellen sich ein. Ein paar Monate später stolpert der nunmehr Achtjährige erneut von einer Pause in die nächste. Der Befund ist stets ein anderer. Zerrung da, Überbein dort. Der Tierarzt nennt es Pech und verschreibt Pause. Auch dieses Pferd wird in eine Herde integriert. Die Hoffnung: Vielleicht stärkt eine längere Auszeit im Herdenverband den Bewegungsapparat so, dass alles gut wird.
#3 Der kleine Schimmel, der lange ein Hengst war, hatte sich zuerst an den Gitterstäben der Box einen Zahn ausgerissen und konnte ein paar Tage nicht geritten werden. Danach war er lustig und hat sich seiner Reiterin entledigt. Er kam unter Beritt, buckelte dann und wann, stand auf den Hinterbeinen und hatte zwischendurch ganz großartige Tage. Auch er wurde lahm, untersucht, behandelt, wieder antrainiert, erneut lahm. Die Besitzerin war seit dem Sturz nicht oben gesessen und dabei blieb es auch. Der Befund des zehnjährigen Pferdes: Arthrosen im Schulter- und Halswirbelsäulenbereich. Nun darbt der inzwischen Graugelbe mutterseelenallein auf der Koppel. Sein Hengstverhalten hat er nie ganz abgelegt und er soll darum sozial unverträglich sein. Dann und wann geht er mit dem beherzten Sohn des Stallbetreibers eine Runde ins Gelände, mehr als Schrittreiten ist nicht drin. Das ist immerhin ein bisschen Abwechslung, eine Prise Sozialkontakt inklusive.
Drei Jahre, drei Fälle, drei weggestellte Pferde, drei unglückliche Reiterinnen. So war das nicht geplant. Reiten wollte man. Denn Reiten bedeutet Sport, Bewegung, Fitness, frische Luft und die innige Beziehung zum Pferd, die vor allem. Was im Kopf schwer einzuordnen ist – das Leid, die Krankheit und letztlich die Ungewissheit wie es weitergeht, ob es überhaupt weiter geht – setzt auch dem Körper zu. Der kurze Besuch im Stall, das Knuddeln und Karottenfüttern gleichen den Bewegungsmangel der Reiterinnen nicht aus. Plötzlich ist man abends früh daheim. Statt auf dem Pferd sitzt man auf der Couch. Angepasstes Essen ist schwer, wer sich weniger bewegt, nimmt erst recht zu viel Kalorien zu sich. Und der Stoffwechsel arbeitet auf dem Sofa auch langsamer als im Sattel.
Der Körper einer versierten Reiterin hat den Drang nach Bewegung ebenso abgespeichert wie der Körper einer Läuferin oder Schwimmerin. Sich spüren und auspowern funktioniert zu Wasser, zu Land und zu Pferd. Die Dusche nach dem Sport, gesundes Essen, sich nach einer Aktivität mit Genuss auf Sofa oder Liegestuhl auszustrecken – das fehlt ganz schrecklich. „Selbst das lange Ausreiten im Schritt war noch Bewegung. Man hat etwas getan mit dem Pferd und war an der frischen Lauft“, so die Freundin, die nun zwar längere Runden mit dem Hund macht, aber „der will auch nicht mehr so mit seinen zwölf Jahren“.
Wie aus einem Sportreiter von einem Tag auf den nächsten ein Nichtreiter wird, erleben Pferdebesitzer leider allzu oft. Man fühl sich unvollständig, nicht ausgelastet und im gleichen Tempo, in dem die Fitness abnimmt, nimmt das Unwohlsein zu. Und nein, es liegt nicht daran, dass Reiterinnen und Reiter ihre Pferde verheizen! Auch dass sie nicht immer korrekt geritten werden, kann ihnen nicht derart zusetzen. Vielleicht sind sie einfach nicht hart genug? Schulpferde halten schließlich auch Tag für Tag Anfänger auf ihrem Rücken aus. Sportliche und unsportliche Menschen, die weder Takt noch Balance halten können, in den Sattel plumpsen und das Pferd ganz bestimmt nicht von hinten nach vorne reiten können.
Der Verlust des Reitens wiegt schwerer als man es sich selbst oder anderen gegenüber eingesteht. Es bleibt immer ein Rest an Zweifeln, Fragen, was man anders hätte machen können. Das schlechte Gewissen, weil das Pferd eben nicht versteht, warum seine Bezugsperson nur mehr kurz vorbeischaut, es nicht trainiert oder ausgeritten wird, der gewohnte Ablauf plötzlich weg ist. Die Lösung kann nicht in mehr Sorgfalt liegen, denn diese drei Reiterinnen stehen symbolisch für maximal gute Versorgung und verantwortungsvolles Training. Vielleicht hat der frühe Verschleiß schon viel eher begonnen? Vielleicht liegt es an der modernen Zucht? An der Aufzucht? An den großen Bewegungen?
Die Tierärztin Dr. Katharina Ros hat sich sehr ähnliche Gedanken gemacht. Antworten gibt sie diesen Monat im St. Georg Magazin, in der Reiter Revue und auf ihrem YouTube-Kanal.
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