… ist nur noch ein Leben. Ich blättere im Fotoalbum und treffe meine Pferde von damals wieder. Sommer 1988 und später.
Und wie der Zufall so spielt, bin ich diese Woche gleich einigen Menschen aus dieser Zeit begegnet. Da stehen wir also am Parkplatz vor dem Supermarkt draußen in B., wo ich ein Drittel meines gesamten Lebens und fast mein ganzes Berufsreiterleben verbracht hatte. Ein Pferd hat mich hierher gebracht, was sonst? Besser gesagt ein Freundschaftsdienst unter Pferdemenschen. Wir schreiben das Jahr 2020 und Covid-19. Nun stehen wir also da und reden über Pferde von damals. Über unsere Reisen nach Badminton, Burghley und Blair Castle. Was wohl aus den Menschen geworden ist, die wir aus den Augen verloren haben?
Beim Heimfahren denke ich darüber nach, was sich alles verändert hat. In der Welt der Pferde ist das ziemlich viel. Wir wissen mehr. Die Forschung, insbesondere die Verhaltensforschung, hat ihren Teil dazu beigetragen. Pferde haben heute mehr Auslauf, mehr Licht und hoffentlich auch mehr Heu. Damals wurden sie einmal täglich bewegt, nur Schulpferde gingen mehrere Stunden am Tag. Dafür hatten sie montags frei. Begeisterte Pferdemädchen haben beim Bewegen der Pferde geholfen wenn die Zeit knapp war. Damals wurde noch jedes Pferd vom Stallburschen aus der Box geholt, geputzt und die Hufe dick mit Huffett bestrichen damit sie glänzten, wenn der Reiter kam. Hallenböden und Reitplätze wurden nicht (!) abgemistet.
Heute sind Einstellbetriebe ohne Koppelangebot völlig aus der Zeit, und das zurecht. Ständerhaltung ist sowieso längst verboten. Die Boxengröße wurde angepasst, Ruhetage abgeschafft. Dafür gibt es Schrittmaschinen, Freilaufanlagen, Laufbänder und Gatschkoppeln. Letztere sind allzu oft ein Kompromiss. Laufställe wurden von Bewegungsställen ab- und bisweilen wieder aufgelöst. Nicht jeder Hof und schon gar nicht jedes Pferd eignet sich für diese Haltung.
Begeisterte Pferdemädchen haben heutzutage eigene Pferde. Pferde werden von Grooms oder Praktikanten, manchmal von ihren Besitzern selbst geputzt. Stallburschen sind nur noch fürs Ausmisten zuständig, allenfalls für die Heufütterung und andere schwere Arbeiten. Reitplatzböden werden selbstverständlich abgemistet und mit ihnen auch Paddocks und Koppeln.
Ich wühle in alten Bildern und sehe Reiterinnen und Reiter ohne Helme. Ich finde mich auf Jessy wieder, der Fuchsstute zwischen Genie und Wahnsinn. Und auf Held, meinem genialen Lehrmeister, mit dem ich die Reitlehrerprüfung abgelegt habe. Kinder sitzen völlig unbefangen und ohne Sattel auf der Norikerstute Linda, deren blonde Mähne bis über die Schulter zum Vorderfußwurzelgelenk hinab reicht. Ich kann es kaum glauben, aber praktisch alle Pferde im Stall haben am jährlichen Springturnier teilgenommen, das kein offizielles war. Dressur-, Freizeit-, Schul- und Privatreiter, Pferdebesitzer, Eltern, Nachbarn, Freunde und eigentlich das ganze Dorf sind an diesem Wochenende zusammengekommen. Der Gemeindearzt war Teilnehmer, Turnierdoktor und Turnierpapa in Personalunion. Es wurde geritten, gefeiert, gefilmt, gelacht und irgendwie waren alle gleich.
Sentimental macht die Zeit dennoch nicht. Denn für die Pferde hat sich vieles zum Guten gewendet. Derzeit steht der Pferdesport still – Geschäfte, Dienstleistungen, Unterricht, Turniere, Ställe. Es trifft auch mich. Plötzlich bin ich ein Pferdemensch ohne Pferd.
Foto: privates Fotoalbum