Ein Jahr LEID, Menschenleid, Pferdeleid, Tierleid, KRIEG. In meiner Arbeit als Journalistin und A G’spia fürs Tier-Koordinatorin begegne ich tagtäglich unfassbar traurigen Tierschicksalen aus der Ukraine.
Dieses Wochenende steht ganz im Zeichen des Ukraine-Krieges, der seit einem Jahr mitten in Europa wütet. Jedenfalls in meinem Kopf. Mir hat sich bereits der Überfall auf die Krim im Jahr 2014 ins Gedächtnis gebrannt. Ich war mit meinem Bekannten Jurij auf dem Weg zu einem Pferdezüchter. Wir sprachen über Huzulenpferde und die Tradition der Zucht dieser kleinen harten Pferderasse in der Ukraine. Er selbst hatte eine vergleichsweise kleine Population auf seinem tausend Hektar umfassenden Land. Zur politischen Situation wollten er eher nicht Stellung nehmen, aber seine Augen leuchteten, wenn er über Pferde sprach. Ich habe nie verstanden, dass die Welt die Annexion hinnahm.
Ein Jahr später konnte ich meine Reisepläne nach Turkmenistan mit ihm, einem der wenigen, die Land und Kultur kannten, besprechen. Er machte mir Mut und ein weiteres Jahr später wagte ich den Ausflug in diese fremde, autoritär regierte Welt mit den einzigartigen Achal-Tekkiner-Pferden. Jurij hatte mich gut vorbereitet, dennoch war die Propaganda wie ein Faustschlag, den ich noch heute spüre. Das Land, die Menschen und die Pferde so schön wie nur, die Freiheit – welche auch immer – nicht vorhanden. Kein Schritt ohne Begleitung, keine Antwort ohne Verweis auf die Allherrlichkeit des Präsidenten. Immerhin teilten wir die Liebe zu Pferden und das war schließlich auch der Grund dieser besonderen Reise, zu der man mich eingeladen hatte. Ich erwähne das an dieser Stelle, weil das Bewusstsein eine Diktatur von innen erlebt zu haben, mehr denn je in meinem Kopf ist. Freiheit ist ein hohes Gut.
Vor gut einem Jahr also war meine heile Welt noch weitgehend in den Fugen. Morgens in den Stall, meine Pferde reiten und versorgen, Texte schreiben, Kuchen backen, ins Kino oder Theater gehen. Solche Sachen eben.
24. Februar 2022. Kurz davor hatte Russland die Separatistengebiete Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkannt. Wir waren vorgewarnt und wollten es nicht glauben. Am Morgen des 24. Februar marschierten Putins Truppen in der Ukraine ein. Europa ist aus den Fugen. Tränen kullern unkontrolliert von allein, manchmal vor Traurigkeit, seltener vor Erleichterung.
Am 13. März 2022 meldete etwa das Westfälische Pferdestammbuch die sichere Rückkehr der Hengste Cornet Obolensky und Comme il faut. Es war eine kleine Meldung, dennoch habe ich losgeheult. Und bestimmt war ich nicht die einzige. Paul Schockemöhle setzte eine Rettungskette für weitere Pferde, Frauen und Kinder aus den ukrainischen Gestüten in Gang. Kleine Lichtblicke für fassungslose und besessene Liveblog-Junkies wie mich.
Meine Suche nach einem sinnvollen Einsatz für die unfassbar traurigen zerbröckelnden, zerbombten Lebenswelten ukrainischer Menschen und ihrer Tiere brachte mich zu A G’spia fürs Tier, einem Sozialprojekt, das Menschen und ihren Tieren in scheinbar ausweglosen Situationen hilft. So auch Vertriebenen aus der Ukraine. Mein zweiter Arbeitstag im April 2022 führte mich in die Messe Wien, wo uns vollkommen traumatisierte Katzen und Hunde von ihren Besitzerinnen vorgestellt wurden. Jede einzelne Geschichte an Traurigkeit kaum zu überbieten.
Am 27. April 2022 schrieb mir Daria unter Tränen: „The horses from Ukraine … a very difficult question … because a lot horses died. Russian burned them alive.“ Es ist das nackte Grauen.
Als Pferdemensch verfolgt man Initiativen wie Help Ukraine Horses (Instagram: helpukrainehorses), die Geschichten wie aktuell jene von Eduard erzählen, der von 2014 bis 2016 in einer Antiterroreinheit kämpfte. Seine Pferde waren seine Therapie. Seit Ausbruch des Krieges versucht er seine kleine Araberzucht, bestehend aus 15 Pferden, zu retten. Es fehlt an allem – Futter, medizinischer Betreuung, Auslauf. Die Böden sind vermint, das Land kann nicht bestellt werden. Pferde verhungern qualvoll, sind verletzt, zerfetzt, sterben, wenn sie Glück haben, einen schnellen Tod.
Was für ein schrecklicher Jahrestag.
Fotomontage Andrea Kerssenbrock: Foto sw © Kerssenbrock, Farbfoto © Tina Hartung by Unsplash