Wer kennt das nicht? Man kommt in den Stall und wird von oben bis unten begutachtet. Das passiert Pferden wie Menschen – manchmal ist es ehrliches Interesse, manchmal Ablehnung und manchmal ein Missverständnis.
Eine Freundin erzählte mir unlängst, dass sie einen Stall besichtigt hätte, wo alle Menschen so freundlich waren und sogar die Stallburschen gegrüßt hätten. Sie hätte sich gleich gedacht, dass da etwas faul sei. Dabei ist sie komplett falsch gelegen! Es gibt tatsächlich Ställe, wo freundliche Menschen für das Wohl der Pferde sorgen und es dennoch nicht an Heu, Stroh oder Sonstigem mangelt. Und in so einem Betrieb war sie gelandet. Es stellt sich nun schon die Frage, wo dieses Misstrauen herkommt und warum wir schon so vorbelastet in Stall-Beziehungen gehen. Die Freundin hat ja recht! Als Pferdebesitzer ist man Kummer gewohnt. Was für das Pferd passt, muss nicht immer auch für den Menschen passen und umgekehrt. Und oft weiß man erst im Nachhinein, mit welchem Kompromiss man besser gelebt hätte.
Wer sich um Anschluss bemüht und dennoch ausgeschlossen wird, leidet oft still. Pferde trifft das bisweilen härter als wir Menschen annehmen. Darum sollten wir besonders genau hinschauen, wie es im neuen Umfeld zurechtkommt. Anzeichen beim Pferd sind wiederkehrende Blessuren, die auch nach der Eingewöhnungszeit auftreten, Abgeschlagenheit und Müdigkeit, ein in sich gekehrtes Verhalten oder das Gegenteil, Schreckhaftigkeit ohne vermeintlichen Grund, Gewichtsabnahme, stumpfer Ausdruck und glanzlose Augen und/oder Fell, Einzelgängertum in der Gruppe. Rangniedrige Tiere haben es meist schwer. Wenn Pferde gemobbt werden, liegt es möglicherweise an einer ungeklärten Rangordnung. Etwa, weil ein Leittier fehlt.
Pferde sind extrem soziale Wesen. Das bedeutet aber nicht nur Positives für Artgenossen. Wir beobachten in der Tierwelt eine breite Palette an Gefühlen – Sympathien und Antipathien inklusive. Wenn ein Pferd seinen Platz in der Gruppe dauerhaft nicht findet, ist es dadurch beträchtlichem Stress ausgesetzt. Für das betroffene Tier ist das eine Katastrophe, denn es leidet häufig still. Sozialer Stress kommt übrigens nicht nur im Offenstall vor. Im Boxenstall betrifft das etwa die Nachbarpferde ebenso wie den Koppelpartner. Wenn ein Pferd mit dem Boxnachbarn nur streitet, bei Blickkontakt die Ohren anlegt oder wiederholt in die Gitterstäbe beißt, sollte der Verantwortliche im Betrieb eine Lösung finden. Die Ruhe in der Stallgasse kann ganz einfach durch Umstellen wieder hergestellt werden. Im Offenstall gibt es diese Möglichkeiten nicht. Allenfalls hilft dem Pferd ungestörtes Fressen in temporären Futterboxen. Wenn es für das rangniedrige Pferd keinen Rückzugsort gibt, kann sich die Situation schnell zuspitzen.
Ich finde, jedes Pferd hat ein Recht darauf, sich sicher zu fühlen. Nicht zuletzt darum trägt das Management in einem Stall maßgeblich zur guten Stimmung bei. Regelmäßige Futterzeiten, hochwertiges Raufutter in ausreichender Menge (man kann es nicht oft genug schreiben) und das Fressen in Ruhe sind da wie dort ein Muss. Die saure-Gurken-Zeit in jeder Pferdehaltung ist der Winter. Zu viel Zeit im Stall, kein Gras auf den Ausläufen, reduziertes Platzangebot. Dicke Luft im Sinne des Wortes. Das Warten auf die Wiese ist eine echte Prüfung. Denn so mild die Winter hierzulande auch geworden sind, die Wiesenkoppeln öffnen trotzdem nicht vor Mai. Und wenn wir Pech haben, zieht mit dem Monatsbeginn der Mairegen ins Land und verzögert die ersehnte Wiesensaison erst recht. Eine harte Zeit für ungeduldige Pferdebesitzer und gemobbte Pferde.
Mobbing betrifft leider nicht nur die Tierwelt, auch Tierbesitzer:innen erwischt es eiskalt. Denn die Erfahrung zeigt: Pferdeleute sind nicht per se bessere Menschen. Besonders in schwach geführten Betrieben ist eine Ausgrenzung einzelner Personen keine Seltenheit. Wenn Einsteller oder Personal die Stallregeln eigenmächtig erstellen, weil es sonst niemand tut, endet das in der Regel nur für eine bestimmte Gruppe gut. Wer nicht dazu gehört, bleibt Außenseiter. Desinteresse an gewissen Menschen, Desinformation zu den Gepflogenheiten im Stall, Neid, Missgunst, keine Antwort, generelle Ablehnung oder Tuscheln sind auf die Dauer Zumutungen, mit denen kein Mensch ewig umgehen kann. Ablehnung hinterlässt Spuren.
Ein Reitstall darf kein Ort für Schikanen sein. Weder von Betreibern noch vom Personal und schon gar nicht von anderen Einstellern. Als Pferdebesitzer verbringt man seine Freizeit beim Pferd. Dafür zahlt man so nebenbei auch einen Haufen Geld. Eigentlich sollte jeder und jede im Stall das gleiche Interesse haben – das Wohlbefinden seines Pferdes. Sich auszutauschen, um Rat zu fragen und gegenseitig zu helfen ist meines Erachtens eine Selbstverständlichkeit. Höflichkeit ebenso: „Du musst da durch?“ Ich schiebe mein Pferd zur Seite. Ich hinterlasse den Putzplatz sauber. Ich knödel den Reitplatz ab…
Wir alle erleben genügend Unfreundlichkeiten im Beruf, im Straßenverkehr, mit den Nachbarn, Behörden, schlecht gelaunten Kassieren im Supermarkt oder sonst irgendwo. Der Stall ist unsere Oase. Hier sind wir unter Gleichgesinnten, mit Hunden und Pferden in der Natur. Es kann keine Lösung sein, einen Stall und seine Menschen nur deswegen auszuhalten, weil es dem Pferd dort gut geht. Denn über kurz oder lang wird das Pferd auf die negative Stimmung reagieren. Da können Umgebung und Versorgung noch so tadellos sein. Und das wollen wir weder für uns noch für unser Pferd.
FAZIT: Mobbing unter Pferden ist besonders dann zu beobachten, wenn in einer Gruppe die Rangordnung nicht geklärt ist, weil ein Leittier fehlt. Mobbing unter Reitern ist besonders dann zu beobachten, wenn in einem Stall die Leitung fehlt.
Foto & Text: Andrea Kerssenbrock im April 2023