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Gestohlene Reitzeit

Gestohlene Reitzeit

Selbst die beste Fremdbetreuung ist immer noch FREMDbetreuung.

Woche vier. Inzwischen bin ich etwas mürbe. Kummertante ist ein harter Job und mit einer Meuterei niemandem gedient. Ich versuche zu vermitteln, suche Reitställe für Freundinnen und halte manchmal lieber doch die Klappe.

Reden hilft nicht immer. Argumente kommen nur bei jenen an, die sie verstehen wollen. Aber! Schreiben hilft immer. Und Reiten auch. Und darum geht es diesmal, um die Reitzeit, die einige Pferdemenschen gerade nicht haben. “Bitte kann der Kanzler Basti das Virus eigenhändig erwürgen?”, werde ich gefragt.

Nachdem die Dinge endlich klar sind (sollte man meinen), könnten Reiterinnen und Reiter zusammenhalten, Rücksicht nehmen und aufeinander aufpassen. Wir wissen, dass Pferde unserer Seele gut tun. Und was kann schöner sein als zu Coronas Sonnenstrahlen ein wenig Zeit im Sattel zu verbringen? Pferdebesitzern das Reiten zu verbieten obwohl dies nicht einmal die Regierung tut? Dazu gehört schon einiges. Das Coronading tobt nicht nur ungehindert durch Stallgassen und Boxengitter, sondern unglücklicherweise auch durch Köpfe und Gehirnwindungen.

Während sich also landauf, landab die Situation rundums Pferd beruhigt, fallen doch ein paar recht exzentrische Ausreißer in den Reihen der Stallbetreiber auf. Da gibt es die einen, die Pferde einsperren und die armen Pfleger gleich mit. Ein Schelm, wer denkt hier könnten dreckige Urständ’ herrschen. Das Betreten des Stalles ist streng verboten und das abzuholende Pferd wird samt sichtbaren Rippen und Equipment auf den Parkplatz gebracht. Man wünscht sich schon, dass irgendjemand aus der Reihe der betroffenen Pferdebesitzer eine klitzekleine Meldung an den Amtstierarzt schreibt oder an die Bezirksbehörde. Zum Glück nicht betroffen, kann ich nur sagen.

Andere Stallbetreiber erlauben den Besuch auf der Koppel und das Streicheln der Pferde. Also, damit hier kein Missverständnis entsteht: Den Pferdebesitzern wird erlaubt innerhalb eines gewissen Zeitfensters ihre eigenen Pferde zu streicheln. Wer nicht mitmacht ist buh und hat sein Pferd nicht lieb. Nächste Coronerie*: Begegnung beim nächtlichen Hundegassi mit der Besitzerin eines Deckhengstes, der, wie seine Artgenossen auch, von der Selbstisolation einer Hofgemeinschaft betroffen ist. Einen Fohlenjahrgang 2021 wird es von ihm nicht geben.

“Mit unserer Betreuung geht es den Pferden ohnehin besser als mit ihren Besitzern.” Ich muss sagen, diese Aussage flasht mich total. Das traut sich hoffentlich nie, nie, nie jemand zu mir sagen. Es könnte passieren, dass ich mich UND meine gute Kinderstube vergesse. Ich schlucke laut, aber offenbar nicht laut genug. Am anderen Ende der Leitung bleibt jedenfalls eine Reaktion aus. Auch hier kann ich sagen, zum Glück nicht betroffen.

“Das Aussprechen eines Betretungsverbotes durch den Einstellbetrieb ist nicht rechtlich gedeckt, sondern eine Form der Selbstjustiz”, sagt die Pferderechtsexpertin Dr. Nina Ollinger. Was hilft es? Selbst Reitverbote durch Stallbetreiber soll es geben. Auch hier fehlt jegliche rechtliche Grundlage. Uuups! Es läuft wohl einiges aus dem Ruder im gesegneten Pferdeland.

“Selbst die beste Fremdbetreuung ist halt immer noch FREMDbetreuung”, beschreibt eine sehr liebe und empathische Kollegin treffend die unwirkliche Situation. “Was nutzt das bestbetreute Pferd wenn ich es nicht reiten darf?”, fragt mich eine andere Wegbegleiterin. Sie stellt die berechtigte Frage, ob nicht “ein kleines bisschen weniger gut betreut und dafür selbstbestimmte Ausübung des teuer bezahlten Hobbys” ein gangbarer Weg für sie wäre.

Es gibt aktuell kein Gesetz, das Reiten verbietet. Reiterinnen und Reitern dieses Recht vorzuenthalten ist schlicht und einfach gestohlene Reitzeit.

*Coronerie: Kürzel der Autorin für Szenerie zu Zeiten von Corona

Link zum Blog von RA Ollinger hier.

Foto: Guillaume de Germain on unsplash

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