Aus der Sicht von Tierärztinnen, Pferdemenschen und Betroffenen sind Gedanken zum Ende des Lebens entstanden – berührende, bewegende und erkenntnisreiche Momente um den Tod des Pferdes.
Es waren schreckliche Bilder. Als das Ausnahmepferd Hickstead beim Weltcupspringen in Verona 2011 vor laufenden Kameras zusammenbrach und starb, war die Betroffenheit enorm. Die zuckenden Gliedmaßen des 15-jährigen Hengstes, die Ratlosigkeit dieses Sterbens, die Tränen im Publikum – das blanke Entsetzen erreichte die ganze Welt.
Der Tod von Hickstead, der 2008 unter dem Kanadier Eric Lamaze olympisches Gold in Hongkong gewann, kam schnell und war ungeplant. Ein Aortaabriss. „Trösten mag der Umstand, dass es ein schneller Tod war“, las man in verschiedenen Internetforen. Auch Liberal, jenes Vielseitigkeitspferd, das vor einigen Jahren in Luhmühlen zu Boden ging, starb in Sekundenschnelle am gefürchteten Aortaabriss. „Er war voller Frische und es gab überhaupt kein Anzeichen dafür, dass es ihm nicht gut ging,“ so sein Reiter Tom Crisp. Das ist typisch für diesen Tod.
Der „geplante Tod“ eines Pferdes stellt uns nicht in dieser Endgültigkeit vor vollendete Tatsachen wie das Hicksteads und Liberals Ableben taten. Er ist aber um nichts leichter oder einfacher zu ertragen. Gerade dann, wenn es sich um unser eigenes Pferd handelt, werden wir zu Betroffenen, sind wir unsicher, verzweifelt, planlos, besorgt. Ob, wann und zu welchem Zeitpunkt unser Pferd sterben soll, liegt in unseren Händen und unserer Verantwortung. Es ist unsere Entscheidung, die wir den Rest unseres Lebens verantworten zu haben – am meisten vor uns selbst.
Constanze Zach ist Österreichs ranghöchste FEI-Tierärztin und hat schon oft erlebt, wie dehnbar der Begriff Verantwortung ist. Sie kann nicht verstehen, wenn „Menschen das Pferd in eine Schablone pressen, um eine Euthanasie zu rechtferigen. Dabei geht es meistens nur darum, sich die Mühe des Alters zu ersparen. Ein Pferd nicht unnötig leiden lassen, das wird nur allzu oft leichtfertig gesagt. Ich habe schon soviel gesehen, und ich finde es wirklich bedenklich, wie bequem es sich manche Tierbesitzer machen.“
Immer wieder wollen Besitzer ihre Pferde einschläfern, weil sie in deren Augen nichts mehr taugen, keine Leistung mehr bringen können. Obwohl das nicht erlaubt ist, kommt es in aller Regelmäßigkeit vor. Auch die aktuelle Debatte um die Teuerungswelle rief provokante Stimmen auf den Plan. Viele könnten sich ihre Pferde nun nicht mehr leisten, ist zu hören. Klar ist: Weder darf ein Tier aufgrund seiner (Un-)Brauchbarkeit, seines Aussehens oder weil es schlicht zu teuer ist, getötet werden. Der Nutzwert eines Tieres entscheidet demnach nicht über dessen Recht zu leben. Das regelt das Tierschutzgesetz eindeutig, indem es besagt, dass ein Tier nur dann getötet werden darf, wenn ein „vernünftiger Grund“ vorliegt.
Der Wert des Lebens
Was aber ist ein „vernünftiger Grund“, um ein Pferd zu töten? Philophisch betrachtet, könnte es ein „abstrakter Begriff sein, der sich mit den moralischen Vorstellungen einer Gesellschaft weiterentwickelt und dadurch einer ständigen Änderung unterliegt“ (Heinrich Bottermann, Leipzig, Tierärztekongress 2008). Klinisch betrachtet ist es dann an der Zeit sein Pferd zu erlösen, wenn „es keine Chance mehr darauf hat ein pferdegerechtes Leben zu führen“, so Sonja Berger von der Klinischen Abteilung für Interne Medizin Pferde der VetMed Uni Wien. Oder, Zitat einer Pferdefachtierärztin: „Der Zeitpunkt zu euthanasieren ist beim alten wie beim jungen Pferd dann erreicht, wenn der Gesundheitszustand nicht mehr mit einem Weiterleben vereinbar ist.“
Was für das Pferd lebenswert und artgerecht ist, lässt sich so zusammenfassen: „Ein Pferd muss tief schlafen können. Das bedeutet, dass es sich hinlegen, in Seitenlage erholen und wieder aufstehen kann. Pferde müssen im Liegen schlafen!“ „Wenn Pferde tagelang nicht abliegen, kann das Krankheitsbild Sleeping Disorder auftreten, eine Schlafstörung, die wirklich eine Gefahr für das Leben des Pferdes darstellt.“ „Weiters soll sich das Tier Wälzen können, es muss nicht mehr herumkommen, aber Wälzen ist wichtig. Ein Sozialleben muss möglich sein. Und eine annähernd normale Ernährung.” „Bei der Fütterung spielt die Raufaser die Hauptrolle. Sie ist wesentlich für einen gesunden Pferdedarm. Manchmal braucht es nur ein angepasstes Fütterungsmanagement, damit das Pferdeleben wieder Spass macht.“
Ein Leben, das nur mit Schmerzmittel möglich ist, kann insofern problematisch sein, als Magen und Niere durch die permanente Schmerzmittelgabe arg in Mitleidenschaft gezogen werden. Natürlich gebe es auch eine Grauzone, wenn Therapien etwa zu teuer werden. Oder wenn eine Krankheit einen aggressiven Verlauf nimmt. Das kann beispielsweise beim Metabolischen Syndrom der Fall sein oder bei Tumorerkrankungen. Es ist dann eben so, dass auch ein Pferd im „besten Alter“ euthanasiert werden muss. Ein Durchschnittsalter zum Sterben lässt sich nicht festlegen. Sehr wohl aber auf einen respektvollen Umgang in allen Lebensphasen des Pferdes. So das Pferdeleben einen herkömmlichen Verlauf nimmt, das Pferd 30 Jahre oder älter wird, muss im Alter individuell für sein Wohlbefinden gesorgt werden.
„Wir wissen aus der Verhaltensforschung, dass Säugetiere ein ähnliches Gefühlsleben haben wie wir. Dass ihre Emotionen bis zu einem gewissen Grad ins Bewusstsein vordringen. Wir wissen nur nicht exakt wie sie fühlen“, so Verhaltensforscher Kurt Kotrschal, „Angst ist etwa hochrangig ansteckend“. Die Bindungstheorie habe sich voll bestätigt, was daran liegt, dass Grundemotionen ihr Zentrum in den ältesten Teilen des Gehirns haben. Das erklärt, warum wir mit Hunden, Katzen und Pferden sozial sein können. Und es verpflichtet uns zu einem besonders sorgsamen Umgang mit dem Tier. (Biologicum Almtal 2014)
Goldene Jahre
Gemeinsame Erlebnisse machen das Tier ebenso glücklich wie den Menschen, sagt die Verhaltensforschung. Entsprechend sorgsam muss es auch behandelt werden. Stress ist ein uralter Mechanismus. Er schaltet die geistigen und sozialen Leistungen des Gehirns ab. Das wollen wir unseren Alten nicht zumuten. Um seinem Oldie den Lebensabend so angenehm – und stressfrei – wie möglich zu gestalten, gibt es viele Möglichkeiten. Mit Willen und Wissen können wir die Bedürfnisse unserer Pensionisten so gestalten, dass sie im Ruhestand gut versorgt und wertgeschätzt alt werden.
Im Alter haben die sozialen Bedürfnisse des Pferdes mehr denn je oberste Priorität. Ob diese nun ein enger Pferdefreund erfüllt oder ob mehrere Artgenossen ins Sozialleben involviert sind, spielt keine wesentliche Rolle. Wir wissen von Pferden, die ihren Ruhestand wie ein altes Ehepaar verbracht haben. Wer erinnert sich nicht an Hugo Simons Springlegenden E.T. FRH (26) und seinen Kumpel Apricot D (29), die gemeinsam eingeschläfert wurden, nachdem sie ihren Lebensabend zusammen verbrachten?
Wie sehr uns unsere Pferdepensionisten am Herzen liegen, war auch an der überwältigenden Teilnahme beim Herbstsymposium „Wenn Pferde älter werden“ an der VetMed Uni Wien (2014, Anm.) zu erkennen. Zwei Hörsäle waren voll, und unzählige Fragen prasselten auf die ReferntInnen ein. Längst ist das Pferd vom Nutztier zum Kumpantier geworden. Wie beim Menschen so ist auch beim Pferd die Lebenserwartung gestiegen – und mit ihr die Lebensqualität der letzten Jahre.
Das sieht auch Sabine Döring, Philosophieprofessorin an der Universität Tübingen und selbst begeisterte Reiterin, so. Wenngleich sie nicht glaubt, dass Pferde einen Begriff von der eigenen Zukunft haben, so ist sie überzeugt, dass ein Pferd in Würde unter Seinesgleichen altern möchte. „Beim Pferd können Artgenossen den Menschen eher ersetzen als beim Hund“. Sie passen sich an, finden neue Freunde, leben in Eintracht. Umgekehrt ist das anders. Wir Menschen hängen an unseren Tieren, haben viel zusammen erlebt, wollen nicht loslassen. „Ein Pferd in Pension zu schicken und es dann regelmäßig zu besuchen, das tut dem eigenen Gefühl gut“, so Döring, „ob das Pferd die menschliche Zuwendung tatsächlich braucht, sei dahin gestellt.“ Die Philosophin ist jedenfalls überzeugt davon, dass ein Pferd anzeigt, wann es gehen will. „Ein Pferd kann man nicht ohne guten Grund gehen lassen“, unterstreicht Döring. Doch was ist ein „guter Grund“?
Sonja Berger kennt beide Seiten – die der professionellen Tierärztin und die der emotionalen Pferdebesitzerin. Sie hat sich intensiv mit dem Tod von Pferden (auch den eigenen) auseinandergesetzt und begleitet die Tiere wie deren Besitzer so behutsam wie möglich auf diesem letzten gemeinsamen Lebensabschnitt. „Wir haben hier an der VetMed Uni schon viele Besitzergespräche geführt. Ich begrüße es, wenn die Besitzer bei ihrem Pferd sind und sehen können, wie eine Euthanasie abläuft. Im Gespräch klären wir was passieren wird und auch ob der Pferdebesitzer eine Erinnerung wie etwa ein Zopferl von den Schweifhaaren oder ein Hufeisen mitnehmen will. Es gibt große Unterschiede bei der Trauerbewältigung. Manche Menschen sind psychisch schon sehr mitgenommen. Da habe ich mir auch schon Sorgen gemacht.“
Die Pferdefachtierärztin, die ihren Beruf draußen in den Pferdeställen ausübt, sagt: „Ich persönlich finde, dass es ein Tier, genauso wie ein Mensch, verdient, bis zuletzt mit höchstem Respekt behandelt zu werden. Das gilt auch im Rahmen einer Euthanasie. Unter respektvoll verstehe ich Leiden durch den unsachgemässen Einsatz von Medikamenten oder von Schusswaffen zu verhindern und bei allen Arbeitsschritten nach den Regeln der Kunst vorzugehen. Um das zu gewährleisten, setze ich dem betroffenen Pferd immer einen Venenzugang, sediere mit einer Kombination aus einem stark sedierenden Mittel und einem starken Schmerzmittel, lege es anschliessend in Vollnarkose und euthanasiere erst, wenn das Pferd tief und fest schläft.“
Die Reitlehrerin ergänzt: „Wichtig ist für mich, dass absolute Ruhe herrscht – sowohl für das Pferd, als auch für den Besitzer. Unbeteiligte Zuschauer sind ebenso unerwünscht wie eine laute Umgebung. Wenn das Pferd in Narkose liegt, besteht die Möglichkeit sich ein letztes Mal zu verabschieden. Ich habe schon viele sehr berührende Situationen erlebt.“
Der Gerhirntod ist dann eingetreten, wenn das Pferd keinen Kornealreflex (Lidschutzreflex) mehr zeigt. Meist ist der bereits im Moment des Aufschlagens eingetreten. Das Herz kann dann noch rund zehn Minuten weiterschlagen und gelegentlich Reflexe verursachen. Für den Besitzer kein Grund sich zu sorgen, sein Pferd könnte unter Todeskrämpfen leiden. Euthanasierte bzw. tote Tiere dürfen in Österreich ausschließlich von der Tierkörperverwertung transportiert werden. Der Zeitpunkt des Einschläferns soll daher – soweit möglich – sorgsam gewählt werden. Denn ein Kadaver, der tagelang auf dem Gelände oder am Hof liegt, ist untragbar für Mensch und Tier. Für Sport- und Freizeitpferde, in deren Pferdepass bestimmt wurde, dass die Tiere nicht zur Fleischgewinnung bestimmt sind, ist mit der Schlachtung zwar eine Alternative zur Euthanasie gegeben, abgeholt wird das tote Pferd dann trotzdem von der Tierkörperverwertung. Denn Pferde, die zum Verzehr geeignet sein sollen, dürfen nur äußerst eingeschränkt medikamentös behandelt werden. Eine Option, die für PferdesportlerInnen kaum in Frage kommt.
„Ein Pferd zeigt, wann es gehen will“, davon sind Experten ebenso überzeugt wie Pferdebesitzer – ganz besonders jene, die ein inniges Verhältnis zu ihrem Tier haben. Constanze Zach hat sehr viel Erfahrung – als FEI- und Renntierärztin ebenso wie in der täglichen Arbeit. Sie handelt immer im Interesse des Tieres und scheut sich auch nicht vor Konfrontationen. In all den Jahren hat sie immer wieder erlebt, wie Pferde Abschied vom Leben nehmen. Diesen Zeitpunkt zu erkennen und zu erwarten, danach sollten wir trachten.
Richtlinien zur Euthanasie
Zum korrekten Vorgehen bei einer Euthanasie gibt es klare Richtlinien (Fritz R. Ungemach, Leipzig, Tierärztekongress 2008). Laut Tierschutzgesetz darf ein Wirbeltier nur unter Betäubung oder unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden und nur von Personen, die die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten dazu haben. Um einen „guten Tod“ zu gewährleisten, müssen folgende Fakten immer in ihrer Gesamtheit erfüllt sein:
- Minimierung von Stress, Angst und Aufregung vor Eintritt der Bewusstlosigkeit
- Rascher Bewusstseinsverlust
- Atem- und Herzstillstand nach Eintritt einer tiefen Narkose
- Verlust der Hirnfuntionen
- Sichere Feststellung des Eintritts des Todes und der Irreversibilität
- Keine Gefährdung von Beteiligten und anwesenden Personen durch das Tötungsverfahren
Der Artikel wurde unter dem Titel Gedanken zum Sterben im Jahr 2014 veröffentlich. Die aktuelle Version wurde um neue Erkenntnisse ergänzt und leicht gekürzt.
Foto & Text: Andrea Kerssenbrock