Roswitha Zink wurde von der Presse zur “Frau des Jahres 2016” gewählt. Ihr unermüdlicher Einsatz in der Therapie mit Pferden, ihre Empathie gegenüber Mensch und Tier sowie ihr unglaubliches Wissen sind beispielhaft. Die Reportage im Universum Magazin wurde beim Österreichischen Zeitschriftenpreis 2013 ausgezeichnet und passt gut in die Vorweihnachtszeit.
DrHorse
Pferde sind wahre Meister der Körpersprache. Die Heilkraft dieser analogen Kommunikation erforscht eine Gruppe von Pädagoginnen und Psychologen rundum Thomas Stephenson von der Siegmund Freud Universität in Wien.
Nichts und niemand erreichte Monika. Die Wachkomapatientin hatte keine Worte und zeigte keine Regungen. Dennoch drückte ihr Körper Gedanken, Gefühle und Wünsche aus. So fein, dass niemand sie wahrnehmen konnte. Wirklich niemand?
Monika hatte Glück. Ihr Kontakt zu Pferden holte sie ins Leben zurück. Stute Flitzi braucht keine Worte, ihr reicht die Körpersprache, die sie aus dem tiefsten Unterbewusstsein der jungen Frau erreicht. Und die von der ausgebildeten Therapiestute an die Therapeutin rückgemeldet wird.
Wer keine Worte hat, wird ständig unterschätzt. Dabei bietet die Körpersprache ungeahnte Möglichkeiten. Das Pferd liest Gedanken, nimmt minimalste Muskelsignale wahr. Eine Forschungsgruppe um Roswitha Zink hat es sich zur Aufgabe gemacht das Geheimnis der heilenden Wirkung der Pferde zu entdecken.
Flitzi heißt mit vollem Namen El buena Felicità, sie wurde in Uruguay geboren und in Wien ausgebildet. Die dunkelbraune Pferdedame kann auf nonverbaler Ebene mit Menschen in Kontakt treten.
Mit rund einem Dutzend weiterer, ebenfalls ausgebildeter, Pferde steht Flitzi auf der Anlage des Vereins e.motion im sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe (Otto Wagner Spital) in Wien. Dort unterstützen die Pferde die Therapeutinnen bei ihrer Arbeit mit Menschen – und signalisieren ihnen ganz erstaunliche Dinge.
Die Signale der Pferde
Pferde leben in ausgeprägt sozialen Strukturen und beherrschen es meisterlich ihrem Befinden Ausdruck zu verleihen. So können sie etwa allein durch ihren Gesichtausdruck zur rechten Seite andere Signale aussenden als zur linken – dem Kumpel rechts mit netter Mimik Wohlwollen vermitteln und gleichzeitig dem rangniedrigeren Tier links hinten Demut abverlangen.
Wie die aktuelle Biologie feststellt, sind die neuen Player in der Natur jene Herdenmodelle, in denen sich mehrere Gammatiere die Führungsaufgaben teilen. Kooperation braucht weniger Energie. Es gibt Spezialisten, Aufgaben werden verteilt und Synergien genutzt. Streng hierarische Herdenmodelle mit nur einem Alphatier sind hier klar im Nachteil. Alphas brauchen viel Energie, denn immer Boss zu sein ist ein enormer Kraftakt. Sirbt ein Alphatier, trifft es die Herde besonders hart. Schlechtestenfalls ist sie führungslos.
Beide Prinzipien funktionieren, doch auch in der Natur stellt sich heraus, dass Kooperation Sinn macht. „Zusammenlebenssicherheit anstatt Signalsicherheit“ nennt es Roswitha Zink, Biologin, Pädagogin und Therapeutin bei e.motion. Sie sagt, dass die analoge Kommunikation eine komplexere Interaktion erlaubt. Und meint damit, dass wer in der übereinstimmenden Welt zuhause ist, besser zwischen den Zeilen lesen kann, empathischer und intelektuell überlegen ist.
Ihre vierbeinigen Co-Therapeuten sind darauf trainiert zu vermitteln. Sie „lesen“ die Körpersprache der Klienten, sehen Gefühle in deren Bewegungen und geben der Therapeutin Feedback. Diese muss – selbstredend – die Körpersprache des Pferdes richtig interpretieren. Die Wissenschaft weiß, dass die Kommunikation mit dem Pferd heilsam ist. Mehr noch – dass Pferde sogar in der Lage sind, Fehler der Therapeutin auszugleichen.
Rowitha Zink erklärt es auch mit dem „Mehrwissen“ ihrer Pferde, das so vielschichtig und überaus hilfreich ist. Die Bandbreite der Interaktionen ist groß. Seit mehr als zehn Jahren erarbeitet sie mit ihrem Team wissenschaftliche Erkenntnisse. Mit unendlicher Geduld setzt sie sich für ihr Klienten ein – körperlich wie emotional schrammt sie dabei immer wieder an die eigenen Grenzen. Sie spricht von großen und kleinen Wundern, die sie in ihrer täglichen Arbeit immer wieder erlebt.
Das ideale Pferd
Das ideale Therapiepferd ist fürsorglich und mütterlich, es trägt und stützt den Menschen. Steht dieser vor einer großen Lebensentscheidung oder hat er Leid erlebt, bietet ihm das Pferd eine Beziehung an – und zwar ganz ohne Hintergedanken.
Die vermittelnde Rolle des Pferdes in der Equotherapie wurde in einer Forschungsarbeit der drei Diplomandinnen Ursula-Dorthea Gansterer, Sophie Fischer und Karin Poinstingel eindrucksvoll dokumentiert. Wesentliche Merkmale der Kommunikationsbereitschaft beruhen auf die soziale Interaktion im Herdenverband und die Fähigkeit zur Verständigung.
Pferd und Mensch leben jeweils in ihrem Sozialverband und sind auf eine qualitätvolle Beziehung angewiesen. Optische Signale wie Mimik, Gestik, Körperhaltung und Bewegungsfluss sind wichtige Elemente der Kommunikation. Weitere Ausdruckselemente wie Schnauben oder Wiehern haben in der Interaktion mit dem Menschen geringere Bedeutung.
Pferde besitzen zudem die Fähigkeit verschiedene Körperpartien zu entspannen oder anzuspannen, was ebenfall eine Form der Kommunikation darstellt, da dieser Muskeltonus von anderen Lebewesen wahrgenommen werden kann.
In der praktischen therapeutischen Arbeit mit Pferden bestätigen die Erkenntnisse der Forschergruppe, dass eine Kontaktaufnahme zum Klienten über das Pferd möglich ist. Das Konzept der Equotherapie baut auf dieser besonderen Fähigkeit der Pferde: Die nonverbale Interaktion mit dem Pferd stellt dabei nur einen therapeutischen Teilschritt dar. Ziel der Therapeutin ist die Bewusstmachung des nonverbalen Ausdrucks- und Interaktionsverhaltens durch den von der Therapeutin geleiteten Verbalisierungsprozess. Therapeuten und Ärzte haben sich die soziale Kompetenz des Pferdes mit Erfolg zunutze gemacht.
Erfahrungen der Psychoanalyse
Pferde schaffen es, die urprünglichste aller Kommunikationen wieder herzustellen, jene zwischen Säugling und Mutter. In der Psychoanalyse nach Siegmund Freud ist die Mutter-Säugling-Interaktion grundlegend für das gesamte Leben eines Menschen. Das Pferd hat den entscheidenden Vorteil, dass es genau auf dieser frühkindlichen Kommunikationsebene agieren kann. Diese Ebene der basalen Interaktion kann der Therapeut mit dem Pferd erreichen – und so eine heilsame Wiederaufnahme an Erinnerungen in Gang bringen.
Eine Forschungsgruppe um Thomas Stephenson von der Siegmund Freud Universität in Wien hat sich der Erhebung nonverbaler Kommunikationsmuster zwischen Pferd und Mensch angenommen – und ist zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Warum dieses Wissen der Pferde so unvergleichbar ist, erklärt Entwicklungsforscher Stephenson.
Pferde senden in ihrer Sozialisation Körpersignale aus, die wie unsere funktionieren und entsprechend decodiert werden können. Voraussetzung dafür ist, dass ein Tier nicht täuscht. Von Primaten weiß man, dass sie ganz bewusst täuschen, um ein Ziel zu erreichen. Hunde wiederum sind zu angepasst an den Menschen, zeigen etwa vorauseilenden Gehorsam. Pferde sind hingegen völlig frei und unvoreingenommen.
Das Pferd reagiert unmittelbar, vorbehaltslos und authentisch. Es ist ideal, weil es mit unwahrscheinlicher Sensibilität unbewusste Prozesse beim Menschen wahrnehmen und interpretieren kann. Stephenson spricht hier von „Mikrosignalen, die auf einer Ebene unter der Bewusstseinsschwelle funktionieren und Regulationen hervorrufen“. Die Strategie des Pferdes ist es, auf den Körper, nicht auf Worte einzugehen.
Wieso ausgerechnet das Pferd den Menschen so frei macht sich zu öffnen, mag der kommunikativen Überlegenheit des Pferdes geschuldet sein. Für Dr. Stephenson ist es noch mehr. Es ist die „Befreiung der Last der Kultur“, die Menschen als wohltuende Erleichterung wahrnehmen. Instinktiv spüren sie, dass ein Pferd weder erziehen noch tadeln will – und lassen sich auf einen Kontakt ein. Natürlich spielt auch die Faszination eine große Rolle, „der archaischer Zugang des Pferdes zur Natur, der eine Quelle darstellt“, wie Stephenson ausführt, „eine Informationsquelle, die wir Menschen nicht mehr haben. – Die packt uns!“
Stephenson ist sich der Brisanz der jungen Erkenntnisse bewusst. In der Psychotherapie ist die Rolle des Pferdes durchaus ein heikles Thema. Denn weder soll das Tier heilpädagogisches Instrument sein, noch soll es manipuliert werden. Gegner der Körpersprache argumentieren damit, dass Pferde sehr einfach auf bestimmte Reize trainiert werden können.
Doch davon lässt sich Thomas Stephenson nicht beeindrucken. Er weiß: „Das Pferd setzt Interventionen“, und setzt noch eins nach: „Was wir mit und durch die Arbeit von Pferden haben können ist wichtig für unsere Kompetenzen.“
„Man kann nicht nicht kommunizieren“ behauptete einst Paul Watzlawick (1921–2007), Kommunikationstheoretiker, Psychoanalytiker und Pilosoph mit österreichischen Wurzeln. Doch die Welt der Traumata, der Verstörungen und der Krankheiten setzt sich über dieses Axiom bisweilen hinweg. Wo Therapeuten, Psychologen und Ärzte ihre Klienten nicht mehr erreichen, kommen die Pferde zum Einsatz. „Mit ihnen wird die Menschheit eine bessere“, ist Univ.-Doz. Dr. Thomas Stephenson überzeugt.
Text & Fotos: Andrea Kerssenbrock
Erstveröffentlichung: Universum Magazin 6/2013