Von der Einmaligkeit des Kaltblutpferdes – eine Begegnung mit sanften Riesen und stillen Helden.
„Die Norischen“, so nennen die Männer ihre Noriker, und es klingt wie „die Unsrigen“. Man spürt den Zusammenhalt und den Stolz, und man beginnt zu ahnen, dass die Männer viel von ihren Pferden verstehen. Sehr viel. Immerhin verbringen die Norischen mit ihren Menschen Stunden und Tage zusammen bei der Arbeit im Wald.
„Des Holzrücken muaß ma im Bluat ham“, sagt Patrick Weiss, und man glaubt ihm ohne weiteres. Ein Knochenjob sei die Arbeit im Wald, und ein echter Waldfuchs müsse man sein. Der lokale Dialekt ist gewöhnungsbedürftig für Fremde, aber das stört die Männer nicht. Wer sie verstehen will, tut es. Und Unterhaltung spielt im Wald sowieso eine eher untergeordnete Rolle. Hier geht es um das “Rücken”, eigentlich Ziehen, mächtiger Baumstämme im unwegsamen Gelände.
Lediglich der Dialog mit dem Pferd spielt eine Rolle. Ein paar Wörter, die da lauten „WIST“ für links, „DIVO“ für rechts und „HEP“ für Stop – aber das variiert von Tal zu Tal. Das gute Pferd macht seine Arbeit sowieso selbständig. So, wie der Leo vom Patrick oder die Laura vom Hias. Die beiden Rappen sind alte Hasen im Forst, echte Norische halt. Kräftige Gebirgskaltblutpferde mit mordsmäßigem Charakter und beeindruckender Trittsicherheit. Dass sie 700 Kilo und mehr auf die Waage bringen, könnte man glatt verdrängen, wenn man sie so behände zwischen den Stämmen arbeiten sieht.
Der Charakter und die Einstellung der Norischen sind für Holzrücker wie Patrick und Hias, die hauptberuflich mit Pferden arbeiten, eine Lebensversicherung. Die Tiere hören auf das kleinste Kommando, folgen den leisesten Worten. Sie verstehen ihren Job. „I greif mein Pferd nit in die Leinen“, sagt Patrick recht forsch. Sein Leo arbeitet in der Tat frei, bringt das Holz aus dem Forst ohne direkt geführt zu werden. Allenfalls ein schmales Hanfseil stellt eine Verbindung zu Patrick her, der hinter den Stämmen geht und sich ganz auf seinen Norischen verlässt.
Beim Holzrücken zieht der Norische bis zu fünf Meter lange Stämme aus dem Wald – bei jedem Wetter, auf jedem Boden. Romantik kommt da keine auf, die Arbeit ist anstrengend und kräftezehrend. Stunde um Stunde, Tag für Tag arbeitet sich das Team Mann und Pferd durch den Forst. Oft genug ist es steil, verheddern sich die Ketten an Wurzelstöcken oder Gestrüpp. Dann muss der Norische still stehen, darf sich nicht rühren. Auch das ist lebenswichtig.
„Die Norischen, das sind die Arbeitspferde bis nach Bayern“, klärt Patrick uns auf. „Weiter oben im Norden, da ham die richtig mächtige Rösser, die fangen bei 1,70 Stock an. Es sind auch Rösser mit zwei Meter und darüber dabei. Das ist eine eigene Kultur je weiter man in den Norden kommt.“ „Gegen die sind wir Wiaschtlsieder“, sagt er, der immerhin zu den Top Fünf in Europa zählt.
Was Holzrücker Patrick meint ist, dass die Arbeitspferdekultur jenseits der bayrischen Grenzen hinauf Richtung Schleswig Holstein und Hamburg eine weitaus bedeutendere ist. Die mächtigen Tiere sind dort schon mal eine Tonne schwer und gut und gerne zwei Meter hoch. Sie arbeiten im Wald wie am Feld, ziehen den Pflug auf den Zentimeter genau. „Die Bauern dort oben beherrschen die S-Dressur mit dem Pflug“. Guter Vergleich. „Länger beim Ackern zuschauen ist aber nur dann interessant, wenn man sich auskennt. Sonst ist es wie einen Tag lang Dressur anschauen“, legt Wolfgang Ehmeier nach.
Ehmeier bewirtschaftet seinen Biobauernhof zu 80 Prozent mit seinen Norischen – im Vollerwerb. Er darf durchaus als Pionier einer neuen Arbeitspferdekultur bezeichnet werden, hat er sich doch jahrelang und intensiv mit den Norischen und ihren Einsatzmöglichkeiten auseinander gesetzt. Aus ökologischer Sicht ist etwa die Waldbewirtschaftung zu Pferd die einzig sinnvolle, da sie dem sensiblen Waldboden nicht schadet. „Die Verletzung des Waldbodens durch Pferde ist deutlich geringer, weil sie den Boden nicht durchschneiden, sondern durchschreiten.“
Vertieftes Wissen um den Einsatz von Arbeitspferden haben sich Wolfgang Ehmeier und Patrick Weiss bei Arbeitsbesuchen in Amerika geholt, wo die Amish mit alten Methoden jedoch neuen Geräten Ackerbau betreiben. Bis zu 16 Pferde oder Maultiere haben sie vor ihre modernen Arbeitsmaschinen gespannt. Die Tiere sind so verlässlich, dass man sogar Kinder an die Leinen lässt.
Die Entwicklung des Kumt oder Kummet ist in Europa irgendwann gestockt. Der hiesige Kumt ist derb und lässt sich schwer anpassen „Früher sind die Bauern mit dem Kumt zum Ross kaufen gefahren, damit er gut passt“, weiß Ehmeier. Heute verwendet er lieber den amishen Kumt, weil der flexibler ist als der herkömmliche Spitzkummet und sich exakt anpassen lässt. Das optimale Kiss (Kissen) unter dem Kumt wird (noch) in aufwändiger Handarbeit hergestellt werden.
Wolfgang Ehmeier musste sich viel Wissen selbst aneignen. Für ein besseres, vernetztes Wirken hat er den Verein ÖIPK (Österreichische Interessensgemeinschaft für Pferdekraft) mitbegründet. Er gibt auch gut besuchte Kurse und freut sich über das wachsende Interesse an Arbeitspferden und deren Einsatzmöglichkeiten. Deren gibt es genug. Angefangen vom Stop-and-Go-Betrieb in urbanen Bereichen – etwa bei Mistkübelentleerung oder Parkpflege – bis hin zum Weinbau sieht Ehmeier zahlreiche Möglichkeiten. Denn: Sind Mann und Pferd ein eingespieltes Team, sind sie unvergleichlich effizient. „Ein Ross ist das Modernste, was es gibt“, ist Ehmeier überzeugt, „Nur eines muss man ablegen, wenn man mit Pferden arbeitet: die Uhr! Es ist einfach eine andere Einstellung.“
Dass in Nationalparks, Biobetrieben und Naturschutzregionen mehr und mehr mit Pferden gearbeitet wird, ist also nur konsequent. In Zeiten, in denen Nachhaltigkeit das Wort der Stunde ist, kommt man am Arbeitspferd nicht vorbei. Die Norischen und ihre Männer sind gefragt wie nie.
Text & Fotos: Andrea Kerssenbrock
Die Reportage entstand im Rahmen eines Holzrückelehrgangs im März 2016 und wurde vom LFI Salzburg unterstützt. Weiterführende Infos gibt es unter lfi.at, hoedlgut.at