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Das Flüstern der Nüstern

Das Flüstern der Nüstern

Wenn ein Pferd uns anschnaubt, löst das etwas in uns aus. Wir mögen es. Die Therapeutin Roswitha Zink setzt die „Schnaubkorrespondenz“ bewusst ein, um das Wohlbefinden des Pferdes im tiergestützten Setting zu verbessern.

Therapie mit Pferden ist längst etabliert und umfasst einen weiten Bogen von der heilpädagogischen Arbeit mit dem Pferd über integratives Voltigieren und Reiten bis hin zur Equotherapie mit mehrfach behinderten oder schwerkranken Kindern. Im Kinderhospiz Lichtblickhof bietet das Team um Roswitha Zink schwerstkranken Kindern und Jugendlichen, ihren Geschwistern sowie ihren Familien einen Ort, an dem Glück und Lichtblicke, gemeinsames Lachen und sich Spüren auch in schwierigsten Momenten möglich sind.

Tierische Co-Therapeuten am Lichtblickhof sind neben Katzen und Hunden ganz besonders die liebevoll ausgebildeten Pferde. Sie geben Kraft und begleiten die Kinder – wenn es notwendig ist, bis zum Friedhof. Das bedeutet aber auch, dass die Therapiepferde sehr viel schultern, empathisch reagieren und vorsichtig interagieren müssen, wenn ihre jungen Patienten zur Therapie kommen. Das Abschnauben nach einer Therapieeinheit hat Roswitha Zink zu einem sehr frühen Zeitpunkt als eine Möglichkeit wahrgenommen, mit der das Pferd sich löst, Anspannung quasi neutralisiert und damit sein Wohlbefinden verbessert.

Die Entwicklung der „Schnaubkorrespondenz“ war sohin ein logischer Schritt, mit dem Roswitha Zink und ihre Kolleginnen Anna Naber, Magdalena Völk und Karin Hediger von der Universität Basel den Therapiepferden ein Angebot machen konnten, sich mitzuteilen. Nach jahrelanger Beobachtung und Recherche, was Therapiepferden bei der Bewältigung ihrer Arbeit mit schwerkranken Kindern helfen kann, hat sich herausgestellt, dass Pferde mittels Schnauben Stress abbauen können. Sie kommunizieren sogar so weit, dass sie nach mehrmonatigem Training ein Veto- oder Kooperationssignal an die Therapeutin senden konnten.

Eine Pilotstudie zur Schnaubkorrespondenz wurde mit allen 20 Pferden am Lichtblickhof durchgeführt. Die Ergebnisse sind vielversprechend. Der Erfolg der Schnaubkorrespondenz zeigte sich innerhalb eines halben Jahres, nachdem durch schnaub-fokussiertes Pferdetraining eine deutliche Steigerung des Wohlbefindens der Pferde zu erkennen war. Durch die Möglichkeit das Schnauben bewusst einzusetzen, wurden die Pferde deutlich entspannter, was einen positiven Einfluss auf ihre Lebensqualität hat. Die Schnaubkorrespondenz führt eine Veränderung im Atemmuster herbei, bei der die Pferde wirksam Stress abbauen können und sich gleichzeitig dem Therapeuten mitteilen können. Eine wissenschaftliche Publikation dazu wurde im Journal Human-Animal Interactions* publiziert: ‘Can Equine Communication via Audible Exhales Improve the Welfare of Therapy Horses? – A Pilot Practice Project’

Basierend auf den Ergebnissen der Studie zeigt sich, dass die Schnaubkorrespondenz ein praktikabler Ansatz zur Stressreduktion von Therapiepferden sein kann. Weiters zeigte sich, dass diese Methode auf alle Pferde anwendbar ist – unabhängig von ihrem Alter, Trainingsniveau oder ihrer Therapieerfahrung. Was bedeutet das nun für uns Pferdebesitzer? In der Zukunft könnten von diesen Erkenntnissen womöglich auch Sport- und Arbeitspferde, Pferde in medizinischer Behandlung bzw. bei Klinikaufenthalten und alle anderen Equiden profitieren. Wenn nämlich Pferdebesitzer und Pferdesportler, Pfleger, Tierärzte und Klinikpersonal das Schnauben von Pferden ihren individuellen Bedürfnissen zuordnen können, kann der Mensch darauf reagieren. Das würde die Interaktion zwischen Mensch und Pferd auf eine neue Ebene bringen. Das “Flüstern der Nüstern” kann also auch jenseits des therapeutischen Settings Stress mindern und einen entspannten Ablauf bei Prüfungen, Untersuchungen oder einfach im Umgang gewährleisten.

Weiterführende Links:
» Lichtblickhof
» Online Fortbildung Schnaubkorrespondenz 26/1/24
* Studie von Anna Naber, Magdalena Völk, Roswitha Zink und Karin Hediger

Text und Foto: Andrea Kerssenbrock