Wer sein Pferd planlos vorwärts jagt, landet unweigerlich in einer Sackgasse.
Ich beobachte viel, schule mein Auge und mische mich nicht ein. Manchmal tut mir der Reiter (oder die Reiterin) dann doch leid, und mehr noch das Pferd. Heute war wieder so ein Tag. Das Pferdekind war schon recht lustig – keine Koppel, weil Gatsch bis zum Bauch, 10 Grad kälter als tags zuvor und pfeifender Wind von allen Seiten. Ach ja, und die Bande und alles, was dahinter stattfand, war ebenfalls ziemlich gefährlich. Und das quietschende, buckelnde Kleinpferd am Longekreis bei A hat meinen Stresspegel auch nicht gerade reduziert. An konzentriertes Arbeiten war also vorerst nicht zu denken.
Wir haben es dennoch spitzenmäßig hinbekommen. Über das Tempo. Namentlich über das l-a-n-g-s-a-m-e Tempo. Kleine Tritte sagt der Jochen immer, und ich hatte ihn heute oft im Ohr, dabei schön rund einstellen und immer wieder für Ordnung sorgen. Wenn es sein muss, eben im Schritt. Altersbedingt (ich rede dabei von meinem Alter) hat sich in den letzten Jahren eine gewisse Gelassenheit eingestellt. Wir also im Schritt, ein wenig seitwärts und wieder vor, antraben, aber nicht zu flott, zwischendurch grunzen (das Pferd) und ein klein wenig rebellisch gegen die Gerte schlagen, oder gegen den Schenkel. Loslassen, tief durchatmen und wieder antraben.
Gut, es hat eine Weile gedauert, aber plötzlich war alles ganz einfach, und wir sind sehr geregelt getrabt und wunderbar kontrolliert galoppiert. Auf einmal ist das Pferdekind durch die Halle geschwebt als gäbe es kein Morgen. Hatte Spaß mit seinem Körper, der Arbeit und überhaupt.
Besonders gut (und dank bester Gene) löst es sich über die Galopparbeit – das Aufnehmen, Geraderichten und wieder vorwärts Reiten – Rahmenerweiterung nicht vergessen! – klappt aber so was von genial. Danach eine verdiente Schrittpause und zum Abschluss noch ein paar richtige-Kracher-Trab-Tritte. Solche, die durch den ganzen Körper gehen, schön aus der Schulter und mit ordentlich Schub und Kraft von hinten. Das geht aber wirklich nur kurz (der Junge ist ja erst viereinhalb und eh so ein Streber).
Superkompensation wie sie im Lehrbuch steht. Und weil wir schon beim Lehrbuch sind, die gute alte Skala der Ausbildung hat es auch nicht so mit dem Tempo: Takt – Losgelassenheit – Anlehnung – Schwung – Geraderichten – Versammlung. In dieser Reihenfolge. Alles da. Bloß von Tempo ist weit und breit nichts zu lesen.
Beim Auftritt der Stute (ein echter Ferrari) war das Pferdekind schon sehr zufrieden mit sich und der Welt und hat somit recht abgeklärt zugeschaut als die Reiterin im Sand gelandet ist und fürchterlich geschimpft hat. Die Stute, erst einmal frei, hat ein paar Runden gedreht und den Buckel trotzdem nicht frei bekommen. Strafweise fürs Runterwerfen musste das begabte Ferrari-Pferd dann seine Runden im doppelten Tempo absolvieren.
Ich habe mich also heute eingemischt und es erklärt (was ich ungefragt sonst nie mache): Dass ein junges Pferd weder über das (viel zu eilige) Tempo kontrolliert werden kann, noch jemals eine Chance hat, seine Balance zu finden. Das wiederum macht zutiefst unsicher. Unsicherheit führt zu Kontrollverlust, das Pferd erschreckt, weicht aus, schmeißt sich auf’s Gebiss, bockt. Der Rücken bleibt fest, die Reiterin hat Angst, das Pferd noch mehr. So geht beiden die Luft aus. Und der Spaß erst recht. Das ist wirklich schade, weil beide doch talentiert sind. Bleibt abzuwarten, ob ein freundschaftlicher Tipp der (geprüften) Reitlehrerin für die Zukunft weiterhilft. Wünschen würde ich es beiden.
Dass es tatsächlich funktioniert, lebt das Pferdekind Tag für Tag vor 🙂
Das Titelfoto zeigt die Dressurreiterin Renate Voglsang mit dem Bundeschampion Sir Raphael beim entspannten Training. © Andrea Kerssenbrock