Selbst wenn man sich den Offenstall schönredet, die Skepsis ist geblieben und am Ende war es tatsächlich ein Flop.
Natürlich kann man sagen, Vorbehalte bewahrheiten sich, weil man sie hat. Das Thema Offenstall fürs eigene Pferd stand schon eine Weile im Raum und der Entschluss, es auszuprobieren kam dann doch überraschend spontan. Die Idee, das Pferd könnte in einer gleichgeschlechtlichen Gruppe in einem durchaus halbwegs gepflegten Offenstall mit großem Liegebereich, mehreren Heuraufen und ausreichend Tränken zufrieden werden, ist gescheitert. Schlechte Stimmung, Mobbing und eine Unkultur der Nullkommunikation sind irgendwie noch ertragbar, wenn es wenigstens dem Pferd gut geht. Doch nicht einmal das war gewährleistet.
Als Pferdebesitzer hofft man stets, dass etwas „mit der Zeit“ besser würde. Mein Rat: Vergessen Sie es!
Die Integration in die Gruppe (“das dauert eben seine Zeit”), das Heuangebot (Stichwort Herbstzeitlosen), ein gesundes Schlafverhalten und positive Sozialkontakte sind essenziell für jedes Pferd. Wenn diese Anforderungen nicht einmal teilweise gegeben sind, wird es eng. Ein Pferd, das unter 15 Artgenossen keinen Kumpel zum Mähne Kraulen findet, selbst in der Zeit des Fellwechsels nicht, ist ungewöhnlich einsam. Auch das Bewegungsverhalten war nicht sonderlich ausgeprägt. Wann immer ich kam, stand das Pferd am selben Platz in seinem „Leo“ und wartete auf mich. Dann nahm es all seinen Mut zusammen, hielt die Luft sichtbar an und huschte durch die grantige Gruppe an zumindest zwölf Paaren zurückgelegter Ohren vorbei zu seinem Menschen.
Fünf Monate später war die Integration noch immer nicht vollzogen, aber immerhin die Eröffnung der Wiesensaison in Sicht. Vielleicht könnte ich dann einmal einen Tag (oder zwei) stallfrei machen? Davon war keine Rede, denn das gewissenhafte Angrasen wurde durch das komplette Versagen am ersten Weidetag torpediert. Beinahe erwartbar drang keine Information zu mir als Pferdebesitzerin durch, wann was wie – und wie lange – passieren würde. Das gemeinsame Entwurmen wurde im Stille-Post-Modus weitergegeben und eines morgens die erste Wiese einfach geöffnet. Fünf Stunden am Stück waren für die meisten Pferde zu lang. Fast alle Pferde bekamen Durchfall und meiner eine Kolik. Was soll ich sagen?
Nach der Kolik kamen die Quaddeln und damit das Ende von der Illusion auch mein Pferd könnte im Offenstall glücklich werden. Der Schein der saftigen Wiese war so trügerisch wie der erste Eindruck des Stallburschen, der den Titel „Pferdepfleger“ schon lange nicht mehr verdient, weil er mehr trinkt als pflegt. Zusammengefasst war die Atmosphäre ziemlich giftig. So wie die Herbstzeitlosen, deren Blätter weithin sichtbar zwischen gelben Hahnenfüßen und struppigen Dornenhecken auf den Wiesenkoppeln wucherten. In der Sprache meiner Großmutter wäre so eine Wiese allenfalls als „Gstettn“ durchgegangen, aber niemals als Weide.
Kurz bevor wir das Kapitel Offenstall beendeten und meine Kollegin E. die Pension antrat, traf ich sie in ihrer Funktion als Chefredakteurin in der Stallburg. Es gab einen Pressetermin und die Themen rund um die Lipizzaner waren nicht neu. Zu viel Vorführungen, zu wenig Tradition, arm in ihren Boxen, so der Tenor der Journalisten, die tendenziell keine Pferdemenschen waren. E. erkundigte sich nach meinem Pferdekind. „Das ist arm im Offenstall“, resümierte ich und blickte in ein ungläubiges Augenpaar. Mit dem Thema Offenstall bin ich definitiv durch.
Text und Fotos: Andrea Kerssenbrock